Donnerstag, September 24, 2009

the brits form an orderly queue even when alone


Nun da ich letzte Woche in England war, wurde mir wieder einmal bewusst, wie sehr die Briten das Warten lieben. Für die gibt es nichts Lustigeres, als sich in Reih und Glied anzustellen.
Uns Resteuropäern entgeht da wirklich etwas.

Meine Kollegin hatte auf unserem Weg nach London – per Bahn mit 70 Schülern – die Tickets vergessen und wir mussten im Zug neue kaufen.
Der Schaffner, zuerst gar nicht amused, erklärte mir dann aber ob meines angeborenen, österreichischen Charmes freundlich, You’ll get them refunded, love.

Also stand ich um kurz nach sechs vor dem Schalter, der bis sieben geöffnet war.
Und wie schon so oft, wenn ich in England irgendwo in einer queue wartete, sitzt da hinter dem Glasfenster der langsamste aller englischen Beamten. Und dieser ist zusätzlich noch überfordert und total konzentriert auf die Kundin, die er gerade bedient und sieht nicht, dass die Schlange vor seinem Fenster immer länger wird.
Ich bin an erster Stelle aber es nützt nichts, weil die alte Dame, die da vor mir am Schalter steht, umständlich herumfragt, und der Beamte zuerst gar nicht und dann ebenfalls umständlich antwortet.
Außerdem ist die Lady schwerhörig und wiederholt ständig, Speak up a little, young man. I am wee hard of hearing. Aber er hört das nicht. Nicht, weil er schwerhörig ist, sondern neu.
Es ist bereits halb sieben und die Schlange hinter mir hat die bedenkliche Länge einer ausgewachsenen, aggressiven Anakonda erreicht.
Die Mienen der Wartenden sind so dunkel wie die Tunnels der Northern Line.
Ich bin gerade damit beschäftigt, Methoden zu entwickeln, den jungen, bleich- und pickelgesichtigen Beamten abzumurksen, als endlich nach mehr als einer halben Stunde die Lady fertig ist.
Ich bin an der Reihe.
Als ich ihm erkläre: Well, I have got 77 train tickets here, and I should get them refunded, verfinstert sich seine Miene leicht. Doch seine Miene ist bei weitem nicht so dunkel wie die der in der Schlange hinter mir Wartenden. Seine Miene ist grau. Mittelgrau.
Es geht relativ schnell, er holt ein Formular hervor. Es dauert ein wenig, bis er es schafft, meinen Namen zu schreiben, obwohl ich alles schön brav buchstabiere, aber nach zehn Minuten ist das erledigt.
Ich höre, wie die Anakondaschlange aufatmet. Als ich mich umdrehe, sehe ich, dass ihre Mienen nun nicht mehr so ganz dunkel sind.
Nicht mehr lange, denke ich. Und ein kleines Gefühl der Schadenfreude blitzt in mir auf.
Sorry, I haven‘t finished yet, sage ich zur Schlange und lächle freundlich. Die Anakonda wird wiederum schwarz und schnaubt. Aber unhörbar. Briten schnauben niemals hörbar.
I need 71 return tickets for children to London, Victoria – and six ones for adults.
Okay, let me find out the best price for you, sagt er.
Ich bin sicher, er heißt Russell oder Stewart. So sieht er aus. Englische Russells und Stuarts schauen alle genau so aus.
Er holt einen Taschenrechner hervor, der mich an meinen ersten Taschenrechner, den ich im Alter von zwölf bekam, erinnert.
Ich sehe, wie sein bleiches Gesicht zu glänzen beginnt. Die anfangs rosaroten Pickel bekommen die Farbe des Kleides, das ich am Morgen bei Debenhams im Schaufenster sah, fuchsienrot – die Modefarbe dieses Herbstes.
Er rechnet und rechnet. Der Taschenrechner rechnet brav mit.
Ich spüre, wie im Hintergrund die Anakonda länger wird und hörbar schnaubt.
Ich drehe mich um und sage: I am always surprised how patient people in England are. Why don’t you complain?
Der Kopf der Anakonda, ein Mann meines Alters, blitzt mich an. Nicht unattraktiv, denke ich, aber Flirten geht jetzt nicht. Diese Entschlossenheit in seinem Blick, so ganz unenglisch. Ich lächle ihn an. Er sieht es nicht.
Er geht nach vor, klopft an das Fenster und fragt: Couldn’t you open another till?
Sorry, sagt das talgige Bleichgesicht, Nobody here anymore.
I‘m missing my train, ruft einer vom hinteren Ende der Schlange. I need a ticket.
The ticket machine is over there, entgegnet Stuart-Russell schroff.
Ganz schön mutig, denke ich bei mir. Der traut sich was.
Der attraktive, zuvor entschlossen blickende Kopf der Schlange fügt sich in sein Schicksal und begibt sich wieder zurück auf seinen Platz.
Um fünf vor sieben bin ich fertig. Ich habe all 77 tickets.
Sorry, sage ich zur Anakonda.
Not your fault, British rail ist just incompetent, sagt der fesche Anakondakopf.
Thank you, Stuart, sage ich zum Beamten.
Er starrt mich an. How come, you know my name?
Well, sage ich, Stuart Little.
Dann gehe ich.

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