Donnerstag, März 29, 2007

ohrgasmus


Ich sitze auf der Bank vor dem Cafe.
Und da lese ich: Ich liebe Kerstin.
Graffiti heißt das heute.
Graffitis gab es immer schon. Aber damals hießen anders. Wie, weiß ich nicht.
Ich ritzte meine Graffitis in die Kirchenbank. Während der Predigt. Amadea liebt Reinhold.
Reinhold wusste natürlich nicht, dass ich ihn liebte. Reinhold liebte ich, als ich sieben war. Kurz vor der Erstkommunion.
„Willst du mit mir gehen?“, fragte ich ihn. Mit gehen meinte ich die Erstkommunionsprozession. „Ja, aber nur wenn du einen Schleier hast“, sagte Reinhold.
Klar, und was für einen.“
Es stellte sich dann aber später heraus, dass der Schleier, den ich hatte, nicht ein Schleier für den Kopf, sondern einer für die Kerze war. Darüber schrieb ich hier.
Ich sitze da auf der Bank vor dem Cafe und lese. Kevin liebt Kerstin. Kerstin hat einen Busen. Kerstin ist feil. Wohl verschrieben.
Ich wünsche dem Kevin von Herzen, dass er irgendwann glücklich wird mit Kerstin. Ein ganzes Leben lang. Oder wenigstens eine Woche lang.
Kerstin weiß sicher nicht, dass Kevin sie liebt. Kevin ist bestimmt schüchtern. Und Kerstin ist für Kevin bestimmt unerreichbar. Er wird sich niemals trauen, sie anzureden und vermutlich wird er immer wieder irgendwo ihren Namen einritzen und dabei seufzen. Ich bin sicher – er seufzt.
Ich seufzte auch, wenn ich Reinholds Namen in die Kirchenbank ritzte.
Nach Reinhold kam Herbert. In Herbert war ich mit dreizehn verliebt.
Und auch er ist in der Kirchenbank verewigt. Gleich neben Reinhold. Amadea liebt Herbert. Mit Datum.
Herbert wusste auch nicht, dass ich ihn liebte. Und ich konnte ihn auch nicht fragen, ob er mit mir gehen wollte, weil es gab keine Erstkommunion mehr. Es gab nur mehr Firmung. Und bei der Firmung geht man mit keinem Buben. Bei der Firmung geht man mit seiner Firmpatin. Und Schleier gibt es auch keinen.
In Herbert war ich sehr verliebt. Er war der Hahn im Korb in der Klasse.
Da gab es diesen beiden Mädchen, die nicht so schüchtern waren wie ich.
Die eine, Susanne, hatte langes Haar und immer die besten Leckereien mit als Jause.
Ihre Eltern hatten ein Gasthaus. Sie war auch immer gut gekleidet.
Und sie fütterte Herbert jeden Tag mit Extrawurstsemmeln mit Essiggurkerl drin und Topfengolatschen.
Da hatte ich keine Chance. Ich hatte weder Wurstsemmel mit Gurkerl noch Topfengolatsche mit sondern meist ein Käsebrot. Manchmal ein Speckbrot.
Und Herbert mochte Wurstsemmel lieber als Käsebrot.
Glaubte ich jedenfalls. Gefragt hab ich ihn nie.
Außerdem hätte ich nicht meine Jause verschenkt, und wenn, dann nur an jemanden, der keine hatte.
Die zweite, Annemarie, war eine Wilde. Sie raufte immer mit den Buben. Aber nicht mit Herbert. Mit Herbert war sie zuckersüß. Ihm schenkte sie Süßigkeiten.
Vermutlich war Herbert überfordert mit Susanne und Annemarie.
Weil irgendwann, im Physiksaal, saß er hinter mir und begann, ganz leicht mein Haar zu streicheln. Ich saß da wie versteinert mit Gänsehaut und konnte mein Glück nicht fassen.
Von da an liebte ich die Physikstunden. Natürlich nur wenn wir in den Physiksaal gingen. Und Herbert liebte ich noch mehr. Und ich wusste, er liebte mich.
Er schenkte mir jeden Tag heimlich Susannes Wurstsemmel mit Gurkerl.
Und ich wusch mir zweimal in der Woche mein Haar, montags und mittwochs. Weil da hatte ich Physik.
Meiner Mutter gefiel das nicht. „Was wäschst dir denn ständig die Haare? Ein Luxus ist das. Und ungesund. Und eine Wasserverschwendung.“
Aber ich hörte nicht auf sie. Von Herbert erzählte ich ihr natürlich nichts. Am Ende der dritten Klasse hatte ich in Physik ein Genügend. Wegen Herbert. Aber das war mir egal.
Das Ritual weitete sich mit der Zeit aus. Herbert streichelte nun nicht nur im Physiksaal, sondern auch im Filmsaal.
Und im Filmsaal war das viel aufregender. Weil im Filmsaal war es dunkel. Und das gefiel dem Herbert. Und mir auch.
Er fing mit dem Haar an und dehnte sein Streicheln dann aus auf Nacken und Schultern.
Einmal, in der Biologie-Stunde während eines Films, ich hatte die Augen geschlossen, und ruhte mit dem Kopf auf der Sessellehne, fuhr er mir mit zwei Fingern in die Ohren. In beide. Ich war elektrisiert.
Mein erster Ohrgasmus war das!
In dem Moment riss der Film. Was ich nicht bemerkte. Weil meine Ohren zugestopft waren mit Herberts Fingern. Als das Licht anging, war es zu spät. Die Lehrerin hatte alles gesehen. Sie schaute mich funkelnd an. Nun war es zu spät.
Ihr Mund öffnete sich: „ Amadea, kannst du mir helfen, den Film wieder einzuspannen?“
Ich war sprachlos.
Ich war überwältigt.
Solche Momente vergisst man nicht.
Momente, in denen man einer anderen Person ausgeliefert ist und diese Person das nicht ausnützt. Momente, in denen man ertappt wird. Mit Fingern in den Ohren, zum Beispiel.

Beim letzten Klassentreffen traf ich Herbert wieder.
Aus der Zauber.
Nie und nimmer dürfte er mein Haar streicheln.
Und erst recht nicht seine Finger in meine Ohren stecken. Höchstens einladen dürfte er mich. Auf eine Wurstsemmel.
Mit Essiggurkerl.

3 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

köstlich
:-)

Anonym hat gesagt…

Wow, Lady Chatterly!

amadea's world hat gesagt…

freut mich, dass du spaß an der geschichte hast, engraver :-)

saxana, Lady Chatterley hatte einen impotenten Upper-class-husband :-)