Donnerstag, Juni 04, 2009

der herr hofrat



Nun war ich mit meinen Eltern auf dem Großglockner. Nein, nicht wirklich auf dem Berg, halt vor ihm. Oder besser gesagt, unterhalb. Aber wir konnten ihn sehen.
Wenn wir sagen: Wir fahren auf den Glockner, meinen wir: Wir fahren dahin, wo man den Glockner sehen kann, also auf die Franz-Josefs-Höhe.
Ich bin mit dem Glockner aufgewachsen, sozusagen. Ich erinnere mich an die langen Autoschlangen im Sommer, als die Deutschen noch nicht nach Italien fuhren oder in die Domrep flogen, sondern auf den Glockner.
Ich war damals ein kleines Kind, und ich brauchte jedes Mal einige Stunden, bis ich vom Einkaufen zu Hause war. Ich blieb bei jedem deutschen Auto stehen und schaute auf die Plakette, auf der stand, woher die Autos kamen. Herford, Mannheim – Das sagte mir nichts. Ich kannte nur DA. DA für Darmstadt. Weil da lebten meine Verwandten.
Wir wohnten damals direkt auf der Zubringerstraße zum Glockner, und in unserer Nachbarschaft lebte der Erbauer derselbigen, der Herr Hofrat Wallack.
Der Wallack war der berühmteste Mann in Bruck. Ich sah ihn manchmal. Er trug immer eine Knickerbocker und einen Rucksack. Sein Haar war schlohweiß. Ich grüßte ihn immer ehrerbietig mit Grüß Gott, Herr Hofrat, und er kannte mich auch, hatte doch mein Vater, ein begeisterter Wochenend-Maler und - zeichner, ein Porträt von ihm gezeichnet und es ihm dann geschenkt.
Der Wallack wohnte im Haus gleich nebenan. Geheimnisvoll war es, versteckt zwischen hohen Fichten in einem Wald.
Für mich war das der Inbegriff eines Märchenwaldes. Stundenlang schauten meine Nachbarin, die Gabi und ich über den Zaun durch die Bäume hindurch, um irgendwas Interessantes zu entdecken, einen Elfe, einen Zwerg oder wenigstens einen Fuchs. Viel gab es nichts zu sehen, eigentlich gar nichts.
Nur manchmal kam die Köchin, die Frau Liesl in einer weißen Rüschenschürze aus dem Haus, um in den Gemüsegarten zu gehen.
Jedes Mal rief sie uns zu: Dirndln, was steht ihr denn stundenlang da herum? Und: Untersteht euch und klettert über den Zaun.
Einmal taten wir es. Es war an einem verregneten Sonntag.
Wir hatten beobachtet, wie die Herrschaft im großen Auto mit dem Stern weggefahren war und kletterten hinüber. Schon standen wir vor dem schlammgrauen Haus. Gabi, wir müssen da rein, ich will sehen, wie der Wallack wohnt. Sicher wie ein König.
Wir kletterten die Veranda hinauf, sprangen über eine kleine Mauer und standen vor der Waschküche, deren Tür offen war. Weiter kamen wir nicht. Wir sahen gar nichts außer einem großen Bottich und einer Wäscheleine.
Beim Hinausgehen gingen wir in den Garten, setzten uns auf die bemooste Steinbank und fühlten uns wirklich verzaubert. Dunkel war es und ruhig. Nur ein paar Vögel zwitscherten. Aber weil sonst nichts passierte, machten wir uns wieder von dannen. Als wir über den Zaun hinüber kletterten, empfing uns schon mein Vater. Fuchsteufelswild war er. Es Lausdirndln, was glaubt ihr eigentlich, da einfach einzubrechen? Morgen geht’s euch entschuldigen.
So geschah es auch. Im Beisein meines Vaters stotterten wir herum und der Herr Wallack, der nicht wirklich wusste, wovon wir sprachen, nickte nur und lächelte.
So hab ich es jedenfalls in Erinnerung.
Und daran dachte ich, als wir die Glocknerstraße hinauf fuhren.
Mein Gott, wie schön, sagte Papa immer wieder.
Mama sagte nichts, wie so oft. Sie hing vermutlich ihren Gedanken nach, hatte sie doch in jungen Jahren im Sommer hier als Kellnerin gearbeitet.
Danke für den schönen Ausflug, sagte Papa. Der Hofrat war schon ein Hund, gell?

8 Kommentare:

april hat gesagt…

Schön, solche Geschichten. Und typisch für Kinder: sie sehen Geheimnisvolles überall.

amadea's world hat gesagt…

Danke, april - ja, wir dürfen auch nun nie auf die geheimnisse vergessen.
aber - die art zu fühlen ändert sich ja gott sei dank nicht. da kann man noch so alt werden.

-K- hat gesagt…

Is this a photo that you took?

Nice.

And certainly quite unlike anything that you see in this part of the world.

Candidus hat gesagt…

Wie schön! … und ich erinnere mich noch gut an die Zeiten, als ein Opel Kapitän oder ein Mercedes 220 nix wert war, wenn hinten nicht ein 'Groß-Glockner' - Aufkleber auf der Scheibe beppte: ein grosses rotes 'G' - viele habe aber dort wegen 'Überhitzung' des Motors anhalten müssen. Für mich deshalb ein mystisches Ziel welches ich erst viele Jahre später 'anschauen' durfte.

JMH hat gesagt…

I hope you're well. If not, let me know if I can help. Even though we don't exchange messages much anymore, you're the only person I know in Austria.

amadea's world hat gesagt…

K, that is austria's highest mountain, the großglockner.

amadea's world hat gesagt…

candidus, diese aufkleber gibt es noch. auf alt gemacht.

amadea's world hat gesagt…

candidus, nun hab ich extra für dich :-) ein pickerl reingestellt. das ist noch ein altes. es befand sich an einem schneeräumgerät.