Dienstag, Oktober 02, 2007

sprachrohr


Ich bin sprachlos als Lo sagt: Endlich komm ich mal zum Reden.
Ich bin nämlich stimmlos. Sprachlos zu sein wenn man stimmlos ist, ist nicht so schlimm.
Stimmlos bin ich seit Freitag.
Und ich habe striktes Sprechverbot.
Vom HNO-Arzt. Bei dem war ich gestern Nachmittag. Das erste Mal im Leben bei einem HNO-Arzt. Das ist ein Erlebnis!
Da sitz ich auf dem Stuhl und kaum habe ich es mir bequem gemacht, da kommt er auf mich zu, sagt: Zunge raus und ich mach und schwuppdiwupp, schon klebt meine Zunge am Kinn. An meinem Kinn natürlich.
Da hat der, ohne mich zu fragen, mir die Zunge mit einem Tixo auf das Kinn gepickt! Und dann fuchtelt er mit einem Röhrl, das so lang ist wie ein Lineal, ein dreißig Zentimeter langes, vor meinem Mund herum. Und fährt mir damit in den Schlund hinein.
Ohne mich zu fragen! Ohne mich zu warnen! Der lässt mich gar nicht zu Wort kommen. Zu Wort kommen hätt’ ich eh nicht können, aber ich hätte mich wehren können. Mit dem Mittelfinger oder mit dem schneidenden Blick.
Aber alles ging so schnell. Ich konnte weder Hand heben, geschweige denn Mittelfinger noch schauen, geschweige denn schneidend. Nicht einmal beißen konnte ich ihn.
Hast du schon einmal probiert, jemanden zu beißen, wenn deine Zunge am Kinn klebt? Sagen Sie iiiii, sagt der Herr Doktor, der nicht wie ein Herr Doktor aussieht sondern wie ein Klavierspieler.
Ich kann nicht iiiii sagen, würde ich gern sagen, und Du Aff’.
Aber ich sage nichts. Hast du schon einmal probiert iiiii zu sagen, wenn deine Zunge am Kinn klebt und du stimmlos bist? Da kannst du nicht einmal aaaaa sagen, geschweige denn iiiii.
Knötchen seh ich keine, sagt er.
Na wenigstens.
Am Sonntag hat mir die Nachbarin erzählt, dass eine Freundin von ihr Knoten auf den Stimmbändern hatte und die hat von da an nur mehr gekrächzt.
Sie hat es nicht so gesagt, die Nachbarin. Sie hat dafür eine halbe Stunde gebraucht.
Und ich war schon nahe daran, ihr den Mittelfinger zu zeigen, damit sie merkt, dass mich das nicht interessiert. Aber ich tat es nicht, weil ich den Mittelfinger niemals im Leben herzeige. Jedenfalls habe ich keine Knoten. Weil, so sagt die Nachbarin, wenn du Knoten hast, dann hilft das Operieren auch nicht, weil die wachsen nach.
Ich wollte schon fast sagen, dass bei manchen Leuten ein Knoten von Vorteil sein könnte, vor allem in der Zunge.
Was hab ich nun? frage ich den HNO-Arzt. Ich frage nicht wirklich, ich bewege meine Lippen.
Geschwollene rote Stimmbänder, sagt er.
Dabei wollte ich schon immer schlanke, grüne Stimmbänder haben, und nun hab ich rote! Und sitz da auf der Couch, ich als Stimmlose, dabei wäre ich so wortreich und bin doch so sprachlos.
Selbstgespräche machen auch keinen Spaß wenn man sie wortlos führen muss. Selbstgespräche sind nur schön wenn man sie wortlaut führt. Sobald ein kleiner Vorlaut über meine Lippen kommt, muss ich ihn schon wieder schlucken. Ich bin den Tränen nahe.
Was ist, wenn mir ein Laut oder Wort stecken bleibt? Zwischen den roten, geschwollenen Stimmbändern? Was ist dann? Und wenn das ein großes Wort ist so wie das Wort Frieden, dann verstopft das alles!
Und auf einmal steckt zwischen den Stimmbändern ein riesiger Wortsalat! Das tut meinen Stimmbändern auf keinen Fall gut!
Die werden dann noch geschwollener und purpurrot und ich muss dann vielleicht nochmals zum HNO-Arzt!
Und der führt dann eine Lautverschiebung durch! Mein erste Lautverschiebung! Das ist ein schwieriger Eingriff! Und gefährlich noch dazu!
Und was ist mit all den Satzmelodien, die ich im Kopf hab? Ich darf die gar nicht mehr singen. Ich muss die schlucken.
Ein Jammer ist das! Vielleicht sollte ich sie pfeifen?
Lieber nicht.
Ich muss mein Sprachrohr schonen. Eine Woche lang. Und ich werde das auch tun.
Ich werde die Tabletten schlucken und inhalieren.
Ich werde nicht laut malen und nicht Wort schöpfen.
Ich werde nur Luft holen.
Und essen. Essen darf ich. Sogar mit der Stimmgabel.

4 Kommentare:

saxana hat gesagt…

So gut beschrieben, dass ich mich gut einfühlen kann. Gute Besserung und schreibe doch jetzt jeden Tag ein Blog.

Anonym hat gesagt…

Meine Mutter hat nach über 30 Jahren Lehrtätigkeit von einer Logopädin erfahren müssen, dass sie ja ganz falsch spreche, nämlich mit zu viel Anstrengung. Das hat dann auch diverse Ausfälle erklärt, die sich mehr und mehr verdichteten. Offenbar hab ich das geerbt, denn länger als eine Stunde kann ich auch nicht reden.

hannamaja hat gesagt…

pfeifen ist eine sehr gute idee! da sind die stimmbänder überhaupt nicht beteiligt. das über nehmen dann die lippen und die zunge. alle deine melodien kannst du da zum ausdruck bringen. es gibt bestimmt viele(s) (auf die oder) das du pfeifen kannst. vor allem auf das was deine stimmbänder rot vor zorn werden lässt, dass die die sprache wegbleibt. auf das sollst du ein fröhliches lied pfeifen.....

amadea's world hat gesagt…

danke, saxana - so vieles gleichzeitig im kopf und so schwer zu ordnen.

ich spreche auch falsch. dann hab ich einige jahre lang musik unterrichtet. das wurde mir dann verboten. aber das wird schon wieder.

wie recht du hast, hanna - danke. bussi