Sonntag, September 23, 2007

der sommelier

Da lese ich in der Zeitung, dass diese Sommeliers, die Wein verkosten, nur Unsinn reden wenn sie einen Wein beschreiben.
Wissenschaftler haben das festgestellt.
Das überrascht mich nicht im Geringsten. Jeder, der zuviel trinkt, redet Unsinn. Das ist also nichts Neues. Sogar ich rede Unsinn, wenn ich zuviel Wein trinke, und nicht nur dann.
Und ich lese weiter.
Und da steht, dass einige Menschen in ihren Genen eine winzig kleine Abweichung aufweisen und deshalb ganz anders riechen und schmecken als diejenigen, bei denen nichts abweicht. Für die riecht zum Beispiel Urin nicht wie Urin sondern wie Vanille. Und Schweiß riecht wie Veilchen. Und ein Speckknödel schmeckt bei denen wie ein Marillenknödel.
Vermutlich haben die Sommeliers diese Abweichung in den Genen. Und darum riechen die all dieses Zeugs im Wein. Und darum schmeckt für die der Wein nicht nach Wein wie für unsereins sondern nach Leder, Eichenfass und faulem Karfiol.
Eigentlich sollte ein Wein ja nach Weintrauben schmecken. Aber das tut er nicht. Eh klar, wenn der jahrelang in einem Holzfassl herumliegt, dass der eher nach Holz schmeckt. Wenn der Fisch einen Tag lang am Ufer liegt, schmeckt der auch nicht mehr nach Meer.
Einmal im Leben hatte ich eine wunderbare Begegnung mit einem Sommelier. Beim letzten Klassentreffen.
Der Roland hat das organisiert, das Klassentreffen. Der Roland ist Sommelier. Und hat aus dem Klassentreffen gleich eine Weinverkostung gemacht. Der Roland war ein wilder Schulkollege. Er kannte die dreckigsten Witze, die er immer in der langen Vierstundenpause am Dienstag erzählte. Da waren wir immer im Alpenstüberl und tranken Cola-Rum. Manchmal spielten die Buben Viererwatten. Aber Witze wurden immer erzählt. Immer dreckige und immer vom Roland. Und ich kapierte selten einen.
Obwohl der Roland so wild war, wurde er Finanzbeamter. Oder vielleicht gerade deshalb.
Und nun ist er auf einmal Sommelier. Komisch. Aber es ist ja bekannt, dass Beamte dem Alkohol nicht abgeneigt sind. Und da kann er sich dann manchmal ein Gläschen gönnen, der Roland – als Sommelier. Auch im Finanzamt.
Dieses Mal erzählte der Roland keine dreckigen Witze.
Dieses Mal stand er da in Anzug und Krawatte. Hinter ihm unzählige Flaschen Rot- und Weißwein. Ich war aufgekratzt an jenem Abend weil wieder so ein Jahrhundertkopfwehtag war und ich schon einige Schmerzkiller intus hatte. Mein Kopfweh war weg, aber ich war wie besoffen. Schon vor der Weinverkostung. Ich war aufgekratzt, übermütig und hysterisch.
Und dann saß ich auch noch neben dem Werner. Immer wenn ich neben dem Werner sitze, muss ich lachen. Weil der Werner ist auch Englischlehrer geworden und den treff ich manchmal bei einer Fortbildung. Immer wenn ich den Werner treffe, muss ich an die dicken Oberschenkel der Lydia denken. Wir saßen da einmal nebeneinander bei einer Fortbildung und der Vortrag war langweilig und der Werner deutete auf eine Kursteilnehmerin schräg vor uns. Das war die Lydia. Und die Lydia hatte einen Rock an. Und der Rock der Lydia war hoch gerutscht. Und man sah die Innenseite des Oberschenkels. Und der Oberschenkel zuckte und wippte wie verrückt auf und ab. Und das Oberschenkelfleisch der Lydia vibrierte wahnsinnig schnell. Ich hab gar nicht gewusst, dass Oberschenkel vibrieren können, noch dazu so schnell. Und der Werner lachte wie wahnsinnig und ich lachte auch. Wenn jemand wie wahnsinnig lacht, dann kann ich auch nicht anders. Und wir wurden rausgeschmissen aus dem Vortrag.
Und nun saß ich ausgerechnet neben dem Werner. Und er lachte schon bevor der Roland überhaupt etwas sagte. Und ich lachte auch. Eben weil der Werner lachte.
Der Roland lachte nicht. Der Roland war sehr konzentriert. Er hatte ein Glas Wein in der Hand und redete. Wir hatten auch alle ein Glas Wein in der Hand. Und dann mussten wir das Glas herumdrehen und schauen und wieder herumdrehen und schauen und dann nochmals drehen und wieder schauen. Ich drehte und schaute und sah nichts.
Der Werner drehte wie wild und verschüttete alles. Und dann lachte er wahnsinnig. So wie damals. Und mir fiel wiederum der Lydia ihr Oberschenkel ein und ich lachte auch. Und der Roland schaute böse und hätte uns am liebsten hinaus geschmissen wenn er gekonnt hätte.
Dann durften wir endlich den Wein trinken. Aber wir durften nicht schlucken. Wir mussten den Mund mit dem Wein spülen und saugen aber ich schluckte zu schnell und verschluckte mich und hustete und der Roland redete und ich hustete noch immer und der Roland wollte mich schon fast hinaus schmeißen, als Gott sei Dank der Husten vorbei war.
Und dann durften auch alle anderen schlucken und der Roland begann zu reden: In der Nase nehme ich eine saubere Apfel- und Pfirsichfrucht wahr. Der Honigcharakter vermischt sich mit dem Säurespiel und ich spüre den fruchtbetonten, mittleren Körper. Am Gaumen spür ich eine lebendige Pfirsich. Beim wunderschönen langen Abgang schmecke ich die exotische Grapefruit. Der Wein ist im Geschmack rund und ausgeglichen. Der kräftige Körper ist warm im Abgang und dann redete er noch von rund und elegant, gefällig und schmeichlerisch und von reifer Kirsche und roter, saftiger Erdbeere und von Brombeeren und von üppiger Geschmackstiefe und von Eichenholzaromatik und zum dritten Mal vom Abgang.
Und er kostete und verkostete und trank und schlürfte und saugte und schluckte - abwechselnd roten und weißen Wein. Und wir tranken und schlürften auch und saugten und schluckten. Und nach einiger Zeit waren wir alle besoffen.
Und der Roland schaute zu mir her, prostete mir zu und fragte mich: Na, Amadea, wie schmeckt der?
Irgendwie nach Wein, lallte ich und machte gleich darauf einen flotten Abgang Richtung Toilette weil mir etwas übel war.
Und der Werner lachte wie wahnsinnig.

4 Kommentare:

hannamaja hat gesagt…

......nach einem wunderschönen langen Abgang, wärmende Ankunft im Magen, jahrmarktskarussellartige Leichtigkeit im ganzen Körper sanfte langsame Weichheit der Zunge und in den Knien, mit fortschreitender Ausbreitung pelziger Schimmelgeschmack mit einer Note von vorjährigen Orangen am hinteren Gaumen, begleitet vom Duft monatelang gelagerten Fleisches auf südseitiger Fensterbank, steinig im Kopf und schließlich bittersauer im Auswurf und spritzig im Abfluss.....
Prost (h)Anna

saxana hat gesagt…

Wie immer großartig beschrieben.

amadea's world hat gesagt…

hanna, genial - was du da schreibst.

saxana, danke :-)
Ist mir gar nicht so bewusst. Ich sollte eigentlich einiges ausbessern, aber es freut mich nicht. Und die Geschichte war eine schwere Geburt.

Anonym hat gesagt…

Jetzt brauche ich ein gutes Achterl Rot, bitte. Aber ohne Sommelier, den brauche ich nicht.
teach