Liebe Mutter Natur,
Ich will diesen Brief mit einem Kompliment beginnen.
Du siehst umwerfend aus.
Wunderschön, dieses grüne Kleid.
Diese Löwenzahntupfen am Volant sind vom Feinsten.
Ich muss dich ständig ansehen.
Besonders gut gefällst du mir am Morgen.
Dieser sanfte Schal aus Morgennebel schmeichelt dir.
Du zeigst dich wirklich von deiner schönsten Seite.
Umwerfend, diese Apfelblütenkette, die so gut zu deinem Teint passt, dieses Weiß, dieses leichte Rosa.
Ich liebe deinen Haarkranz aus Hyazinthen und Taubnesseln.
Und wie du duftest!
Dieses Wiesenschaumkrautmuster – ich kann mich gar nicht satt sehen daran.
Du weißt deine Reize gut einzusetzen und schaffst es irgendwie immer, dass ich überwältigt bin von deiner Schönheit.
Diese Veilchenhalskette passt so gut zu den Glockenblumen-Ohrsteckern.
Sogar die Störche, die ich gestern traf, scheinen das zu merken. Sie haben sich entschlossen, hier zu bleiben.
Alles ist vollkommen. Bei dir ist alles vollkommen.
Bei mir nicht.
Bei mir ist gar nichts vollkommen.
Merkst du nicht, wie ich leide?
An dieser Allergie?
Ich meine, wäre es möglich, ein bisschen weniger von allem?
Musst du so übertreiben?
Muss alles auf dir zur gleichzeitig blühen?
Ist es notwendig, dass du deine Pollen wahllos verlierst?
Und dieser Klatschmohn da, auf deinem Busen- viel zu auffällig, dieses Gelb.
Kannst du dir nicht ein wenig Zeit lassen und etwas Rücksicht nehmen auf mich?
Merkst du eigentlich, wie es mir dabei geht?
Merkst du eigentlich, dass mir den lieben langen Tag die Augen tränen?
Ich glaube nicht.
Ich glaube, du nimmst mich nicht mal wahr.
Ich könnte mir die Augen aus den Augenhöhlen reiben und du würdest nichts merken.
Dass meine Augen rot und geschwollen sind, ist nicht der Rede wert.
Damit kann ich leben.
Aber.
Es reicht mir, dass meine Nase ständig läuft.
Es reicht mir noch mehr, dass mein Mund ständig ausgetrocknet ist obwohl ich vier Liter Wasser am Tag trinke und mein Magen gluckst wie einer deiner Gebirgsbäche.
Und weißt du, was das Schlimmste ist?
Nein, du hast keine Ahnung. Nicht die leiseste Ahnung hast du.
Die Geräusche.
Ich mache Geräusche.
Der verschiedensten Art.
Ständig.
Du hörst das gar nicht.
Ich niese.
Ich huste.
Ich quietsche.
Ich stöhne.
Ich jammere auch ständig.
Und schimpfe.
Und bin schlecht gelaunt.
Und ungeduldig.
Eine Plage für meine Mitmenschen.
Eine Zumutung.
Aber du hast ja nur Augen für deine Schönheit.
Was mit mir ist, ist dir vollkommen egal.
Es kümmert dich nicht
Manchmal schrei ich sogar.
Laut.
Dass ich das nicht mehr aushalte.
Meinen Kollegen missfällt das.
Und den Leuten, mit denen ich zu tun habe, auch.
Alle haben genug davon.
Am meisten ich.
Also.
Nimm Rücksicht.
Du übertreibst das mit der Eitelkeit.
Ich geh zum Nachbarn.
Dem Bauern.
Morgen.
Und frage, wann es so weit ist.
Mit dem Mähen.
Der Löwenzahn muss weg.
Das Wiesenschaumkraut auch.
Der Klatschmohn sowieso.
Und dein Freund, der Regen, kommt auch bald, hat er mir versprochen.
Gemeinsam mit dem Sturm.
Da hält deine Apfelblütenkette nicht stand.
Da ist dann Schluss mit der Üppigkeit.
Genug des Schreibens.
Meine Nase tropft.
Meine Augen tränen.
Ich muss zur Drogerie.
Ich brauch Taschentücher.
Und Tropfen.
Und dieses Lied.
Von wegen easy und so.
Ich kann es nicht mehr hören.
Summertime,
And the livin' is easy
Fish are jumpin'
And the cotton is high
Amadea
Dienstag, Mai 16, 2006
Abonnieren
Kommentare zum Post (Atom)
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen