Anna ruft an. Kommst mit?
Wohin?
Maibamkraxln schaun.
Der Kirchplatz, Zentrum des Ortes ist voll mit Einheimischen. Viele in Tracht, Dirndlkleid oder Uniform. Alle Vereine versammelt nach dem langen Tag, der mit dem Kirchgang begann. Der erste Mai ist ein besonderes Fest für die Einheimischen. Um sechs Uhr früh marschiert die Musikkapelle spielend durch den Ort. Es sind keine Touristen mehr da. Der ganze Ort ist da. Heute ist das Wetter gut, die Sonne scheint und die Grillstation ist überfordert. Mit einem solchen Andrang hat keiner gerechnet nach dem gestrigen Schneefall. Nur ein Griller und hunderte von Leuten.
Der Mann, der am Tisch uns gegenüber sitzt, schimpft schon. Eine halbe Stunde anstellen für ein Kotelett.
Zur Auswahl stehen Grillkotelett mit Kartoffelsalat und Brot oder Bratwürschtl mit Kartoffelsalat und Brot.
Die Blasmusik spielt. Die Kinder sitzen und stehen auf der Kirchenmauer, essen Pommes und Eis.
Der Traktorverein ist auch da. Einige Oldtimer-Traktoren stehen rund um den Dorfbrunnen.
Und mitten drin der Maibaum. Wir sitzen fast darunter.
Der Herr gegenüber jammert schon wieder. Zwei Stunden sitzt er schon da und wartet auf das große Ereignis.
Die Musikkapelle spielt den Rainermarsch. Einige Musikanten stehen auf und singen. Das hab ich noch nie gehört. Hier so Brauch, sagt Anna. Nun geht’s gleich los mit dem Kraxeln.
Es ist das erste Mal, dass ich dabei bin.
Es ist warm, die Sonne sticht und das Bier am Tisch wird warm. Der Mann gegenüber nimmt einen Schluck und packt seine Kamera aus. Ich bereite einen Diavortrag vor, sagt er. Für den Heimatverein. Läuft am 6. Juli an. Jeden zweiten Mittwoch. Beim Kirchenwirt im Saal. Abwechselnd mit dem Heimatabend.
Es geht los. Den Anfang machen die Kinder.
Endlich, der erste Kraxler. Ein junger Bursch in der Lederhose. Er entledigt sich seiner Pfoad, zieht die Stutzen aus, beschmiert sich mit einer Paste, die ausschaut wie Schmierseife.
Er ist schnell. Einer sichert mit dem Seil. Weit schafft er es nicht. Leichter Applaus. Ein steirisches Trio fängt an zu spielen. Die Leute applaudieren.
Dann der nächste.
Er scheint es zu schaffen. Je weiter er nach oben kommt, desto langsamer wird er. Hände und Füße voll mit Holzspänen. Man sieht, dass er am Ende seiner Kräfte ist.
Er hält inne. Das Publikum feuert ihn an. Weiter geht’s. Endlich hat der den Fichtenkranz erreicht und wirft die Symbole aus Papier nach unten – Flaschen, Brezeln.
Er klettert nach unten. Kopfüber.
Lauter Applaus. Endlich geschafft. Kreidebleich, erschöpft, aufgeschürft, strahlend. Von seiner Brust tropft etwas Blut. Zur Stärkung ein Schnapserl. Danach ein Bier. Dann ein Busserl von der Marketenderin.
Er ist der Held des Tages.
Um den Maibaum, der am ersten Mai aufgestellt wird, spielen sich verschiedenste Bräuche ab. Dazu gehören die Maibaumbeschaffung aus dem Wald, seine Entrindung, das Schmücken, Aufstellen und Bewachen, aber auch die sportlich-spielerische Entwendung des Maibaums einer Nachbargemeinde und die Feier seiner Auslösung mit Freibier durch die Besitzer. Neben bemalten Maistangen, deren Wipfel naturbelassen, bekränzt oder mit einer Krone ausgezeichnet sind, gibt es, besonders im Gebiet südlich von München, Maibäume mit Figurenschmuck, der Häuser, Kirchen, Handwerkszeuge, Tanzpaare oder religiöse Motive abbildet und seitlich am Stamm befestigt wird.
Nachweisbar sind Maibäume erst um die Mitte des 18. Jahrhunderts, während die glatte Maistange, die ja oft auch im Wettkampf noch erklettert werden muß, schon zu Beginn des 16. Jahrhunderts belegt ist.
Noch älter ist der Brauch, einen eingewurzelten Baum zum Zeichen der Tanzfreiheit zu schmücken, und ihn zum Austragungsmittelpunkt für Spiele und Tänze zu erwählen.
Regelmäßige, termingebundene Maibaumbräuche kamen später infolge des 30-jährigen Krieges auf. In jener Zeit stellten die Soldaten am ersten Mai Ehrenbäume für Offiziere, Fürsten oder hohe Gemeindevertreter auf, wofür Maibier ausgeschenkt und andere Vergünstigungen gewährt wurden.
Während der Maibaum bei den Predigern der Gegenreformation freundliche Anerkennung fand, stieß er bei den evangelischen Theologen und Aufklärerfürsten auf Ablehnung. Verschärfte Forstbestimmungen brachten den Brauch vielerorts zum Erliegen.
Nach einem erneuten Aufschwung im 19. Jahrhundert wurde der Maibaum nach dem Ende des ersten Weltkrieges zur Modeerscheinung und erlebte seine weiteste Verbreitung mit der Propaganda der Nationalsozialisten, die den Maibaum zum Sinnbild der erwachenden Natur erklärten.
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