Sonntag, April 30, 2006

max


Ich saß im Zug nach Wien. Der Waggon war fast leer. Ich machte es mir gemütlich, schaltete mein Handy aus und nahm das Buch heraus, das ich schon lange lesen wollte. Ich freute mich auf die ruhige lange, gemütliche Zugfahrt.
In Salzburg stieg eine Familie ein. Papa, Mama und drei Buben, alle nicht älter als fünf. Sie nahmen neben mir Platz. Das hatte mir gerade noch gefehlt.
Nach zwei Minuten wusste ich, dass die drei Kevin, Leon und Max hießen. Die beiden ältesten, Kevin und Leon saßen ruhig da und spielten mit ihren Computern. Max, der jüngste, war eine Katastrophe.
Er blieb keine Sekunde ruhig sitzen, gab grunzende Geräusche von sich, schrie, kreischte, kicherte, kletterte den Sitz hinauf, hinunter, zog am Pullover seiner Mutter, klopfte auf die Schenkel seines Vaters, schmiss sich gleich darauf auf den Boden, wimmerte, wollte den Schnuller, bekam ihn, spuckte ihn aus.
Man sah auf den ersten Blick, dass dieses Wahnsinnskind eine Überdosis an Zucker in sich hatte und zusätzlich oder deshalb hyperaktiv war.
Seine Mutter begann, ihm Schokoladekekse in den Mund zu stopfen. Er kaute, schluckte, redete, kaute, schluckte, redete, dazwischen bekam er seine Trinkflasche, in dem ein giftig-gelbes Gesöff war, dann wieder Schokoladekekse. Und er kaute, schluckte, redete, trank, redete, kaute, schluckte. Und war ständig in Bewegung. In unkontrollierter.
Das einzige, was der Vater sagte, war: "Bitte, Max. Max, bitte.“ Die Mutter sagte gar nichts. Sie schwitzte, ihr Rock war verrutscht, ihr Pullover braun gefleckt, ihre Hand stopfte und stopfte die Kekse in Max hinein.
Mir fiel in diesem Moment eine Begegnung mit einem ähnlichen Wahnsinnskind wie Max ein. Ich ging damals noch ins Gymnasium und war auf der Heimfahrt von der Schule.
Dieses Wahnsinnskind lief die ganze Zeit herum, belästigte die Fahrgäste, hüpfte auf die Sitze, schrie und kreischte.
Irgendwann war es dann erschöpft und setzte sich zu seiner Mutter, die vor mir saß.
Und mit einem Mal drehte sich dieses Kind zu mir um und schaute mich an.
Ich konnte mich nicht beherrschen. Ich streckte ihm die Zunge heraus. Ganz weit.
Das Kind starrte mich an und fing an, laut zu schreien. Die Mutter hatte keine Ahnung weshalb. Ich eigentlich auch nicht, weil getan hatte ich ihm ja nichts. Jedenfalls schaute sie kurz zu mir zurück, weil ich aber ruhig dasaß und keinerlei Reaktion zeigte, wandte sie den Blick wieder ab.
Nun aber zurück zu Max.
Max hatte inzwischen die ganze Packung Schokoladekekse gefüttert bekommen
und sein giftgelbes Kohlensäurezuckergesöff ausgetrunken, als ich sah, dass ihm schlecht war. Das Keks im Mund, die Augen verdreht, der Mund verzerrt, fing er an zu würgen und zu würgen. Er schrie: „Mama, i muaß speibn!“ Schon war es so weit. Der halbverdaute dunkelbraune Inhalt seines Magens landete auf seinen Händen, seinem T-Shirt, auf Mamas Rock, auf dem Sitz. Und er schrie. Aus Leibeskräften.
Es war unbeschreiblich.
Es war wie in einem Film.
Im verzweifelten Versuch, den Max zu besänftigen, schob ihm die Mutter den Schnuller in den Mund: „Hiaz nimm schon den Zutzl, dumma Bua!“ Papa röchelte nur: „Bitte, Max. Max, bitte.“
Mama beruhigte ihn schön langsam. Dann wischte das Erbrochene mehr oder weniger erfolgreich auf.
Sie hatte es endlich geschafft, dass der Schnuller im Mund von Max blieb.
Nun war es so, dass Max wunderbar gelernt hatte, mit dem Schnuller im Mund zu reden. Und da er ja die stete Aufmerksamkeit seiner Mutter beanspruchte, redete er ständig.
Er saß inzwischen auf dem Schoß der Mama, die sich endlich ihrer Zeitschrift widmen konnte. Und Max fragte.
„Wof if gef?“ – „Des is die Paris Hilton.“
„Wof if gef?“ – „Des is die Freindin von da Paris Hilton.“
„Wof if gef?“ – „Des san die Schuach von da Paris Hilton.“
So ging das nun dahin. Eine halbe Stunde lang.
Wann immer die Mutter ihr Goldenes Blatt umblätterte, fragte Max. Immer dasselbe.
Papa murmelte, bevor er einschlief: "Bitte, Max. Max, bitte.“
In Linz stiegen Mama, Papa, Kevin, Leon und Max aus.
Der Waggon füllte sich mit Reisenden. Mir gegenüber ein altes Ehepaar. Nachdem sie ihr Gepäck verstaut und sich umständlich hingesetzt hatten, musterten sie mich unentwegt. Ich machte mich klein, zog die Beine an, lächelte sie an. Sie verzogen keine Miene. Es war offensichtlich, dass sie schlecht gelaunt waren. Also nahm ich meinen CD-Player heraus und widmete mich meinem Buch. Gleich darauf klopfte mir die Dame auf’s Knie. Ich nahm den Kopfhörer ab.
„Mochn’s bittschäää eana Musi leiser. I wü schloffn.“
Ich packte meine Tasche und verließ den Waggon.
Das nächste Mal setze ich mich in ein Erste-Klasse-Abteil. Sollte mich der Schaffner nach dem Erste-Klasse-Ticket fragen, werde ich sagen: „Wof if gef?“

1 Kommentar:

-K- hat gesagt…

I'm sorry that I don't read German(as I've said before) but I'm wondering if this is a photo of a recent snowfall?

Living in southern California, it is very hard to believe snow is falling anywhere on the last day of April.