Donnerstag, Juni 03, 2010

ave maria


Traditionen waren wichtig in unserem Haus.

Und so auch das alljährige Beichten, das vor Weihnachten und Ostern Pflicht war. Egal, ob man wollte oder nicht, egal, ob du gesündigt hattest, oder nicht, die Beichte war Pflicht.

Ich hatte immer dieselben zwei Sünden: Lügen und Ungehorsam.
Das Lügen betraf in erster Linie das heimliche Lesen mit Taschenlampe unter der Bettdecke.
Mit dem Ungehorsam war es etwas komplizierter.
Mein Vater gab mir das Gefühl, ich sei ständig ungehorsam. Frag nicht warum, mach einfach. Gehorsame Töchter fragen nicht, die machen einfach. Ohne Widerrede.
Manchmal hatte ich auch Stehlen als Sünde. Und zwar immer dann, wenn ich heimlich ein Stück Schokolade aus der Süßigkeitenschublade nahm. Eine wahrlich schwere Sünde.

Nach einigen Jahren, im Alter von dreizehn, wurde mir bewusst, dass das Lesen und Schokoladenaschen nicht wirklich sündhaft sein könne und ich weigerte mich beichten zu gehen. Aber ich hatte keine Chance.
Mein Vater sagte nur: Jeder hat Sünden. Wir sündigen jeden Tag. Sogar in Gedanken. Denk nach, dann findest schon was.
Und so dachte ich am Weg zur Heiligen Beichte nach und fand auch immer was.

Beichten fand im Religionsunterricht statt. Gemeinsam mit meinen KlassenkameradInnen gingen wir zur Massenbeichte.
Der Geruch aus Weihwasser und Weihrauch und die Stille in der Kirche machten mir zu schaffen. Jeden Atemzug hörte man und ich war immer ganz genau darauf bedacht, dass das Holz der Kirchenbank nicht zu sehr knarrte, wenn ich mich hinsetzte.
Und dann war es so weit. Ich war dran.
Der Beichtstuhl, ein dunkelbrauner Kasten mit Gitterstäben, machte mir Angst. Ich weiß noch genau, wie der Türgriff aussah. Es knackte leicht, wenn man die Tür öffnete.

Und dann saß ich da.
Dunkel war es.
Und der Pfarrer, der da vor mir saß, und von dem ich nur die Hände ein wenig sah, fing an mit Imnamendesvatersunddessohnes und ich kniete mich hin und spürte seinen Atem.
Den Kopf gesenkt, blinzelte ich vorsichtig hinauf, um zu sehen, wer da saß und hoffe unständig, es möge nicht der örtliche Pfarrer sein. Aber nie sah ich das Gesicht.
Er roch muffig und abgestanden, er stank. Nach Schnaps und Mottenkugeln.
Ich atmete langsam und vorsichtig durch den Mund und starrte auf meine Hände, dich ich gefaltet hatte, so wie es sich gehört. Ich konzentrierte mich auf meinen Atem, ich wüsste, wenn ich nicht aufpasste, würde ich umfallen, gegen die Holzwand des Beichtstuhls knallen und das Bewusstsein verlieren.
Den Kopf seitlich gesenkt, versuchte ich dem schlechten Atem des Pfarrers auszuweichen. Aus den Augenwinkeln sah ich, wie er sich bewegte, den Kopf schüttelte oder nickte, und ich sah diese violette Schärpe. Er murmelte irgendwas dahin. In Lateinisch.
Zum Gestank, das durch das Holzgitter drang, kamen kam der Geruch der ganzen Sünden, die hier in dieser Folterkammer gebeichtet worden waren, und die sich ins Holz gesaugt hatten.
All das nahm mir die Luft.
Ich stammelte schnell ein Vaterunser.
Endlich kam das erlösende Imnamendesvatersunddessohnesamen und meine Buße. Die Buße bestand aus einem oder zwei Vaterunser und dem Gegrüßtseistumaria.

Erleichtert verließ ich den Beichtstuhl, ging nach vor zum Seitenaltar, kniete nieder und betete drei Vaterunser aus Dankbarkeit, dass diese Tortur zu Ende war.

Am Abend sagte mein Vater: Na, Amadea, ist das nicht ein wunderbares Gefühl nach der Beichte? Nun musst dich halt zusammereißen und nicht zurückschnabeln wenn ich was sag, gell? Ich sag dir, du wirst nie einen Mann bekommen, wenn du so aufmüpfig bist.

Gott sei Dank habe ich doch einen bekommen, einen Mann. Ist halt nicht geblieben. War wohl doch zu aufmüpfig.
Ich sollte mal wieder beichten gehen. Irgendeine Sünde wird sich schon finden.

3 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

Spannend! Ich kenn das ja nicht!

saxana hat gesagt…

Ich kenn das auch. Nach einem Streitgespräch im Beichtstuhl in jungen Jahren gehe ich nicht mehr dorthin.

amadea's world hat gesagt…

t.m. da war nix spannend. a nightmare!
find ich cool, dass du mit dem pfarrer gestritten hast, saxana. ich hatte da viel zu viel angst.