Sonntag, Dezember 21, 2008

die haben's immer besser


Nun stand ich unlängst am Bankomat und bohrte in der Nase während ich auf mein Geld wartete.
Und dann sah ich es: Über mir ein Kamera.
Nun bin ich nasebohrend auf dem Video. Ich, die Lehrerin, ein Skandal.
Ich werde überall beobachtet, überall! Ich werde gescannt, nummeriert, eingeteilt. Überall Kameras, vor der Bank, in der Bank, in der Tiefgarage, im Parkhaus, im Supermarkt, in der öffentlichen Toilette.
Was regst du dich auf? Hast du was zu verbergen? Wenn du ein gutes Gewissen hast, dann ist es doch egal.
Sie – wer immer diese Leute sind - wissen alles über mich.
Sie kennen meinen Fingerabdruck, meine Blutgruppe, meine Kontonummer, meine Kreditkartennummer, meine Leberwerte, mein Gewicht, meine IP- Nummer.
Sie wissen, wie oft ich zum Arzt gehe und warum, sie wissen, was ich einkaufe, sie wissen, wann und wohin ich in den Urlaub fahre.
Ich bin ein offenes Buch.
Und ich bin jeden Tag auf irgendeiner Kamera. Und die Kameras bewegen sich. Sie verfolgen mich. Ich will nicht immer und überall auf einer Kamera sein. Ich will manchmal für mich sein.
Ich will in der Nase bohren oder meinen BH zurecht rücken, ohne dass mich irgendjemand beobachtet.
Nicht einmal im Urlaub bin ich sicher. Egal, wo ich bin, egal, in welcher verlassenen Ecke der Welt, überall Kameras. Und zusätzlich wird mir jeden Tag gesagt, was ich zu tun habe und was nicht.
Hat irgendjemand dem Humphrey Bogart je gesagt, dass Rauchen schlecht ist? Okay, es gibt keine Bogarts mehr. Die heutigen Humphreys rauchen nicht, trinken nicht, essen nicht.
Ich soll weder Zucker essen, noch ein Steak, geschweige denn einen Schweinsbraten. Ich darf meine Kartoffeln nicht knusprig braten, keinen Kaffee trinken, keine Butter essen, nicht zu lange am Computer sitzen, das ist schlecht für die Augen, Laufen ist schlecht für die Knie, liegen ist schlecht für dein Kreuz, Autofahren ist schlecht für die Umwelt, Radfahren ohne Helm ist gefährlich, Sonne ist gefährlich für die Haut, Regen ist gefährlich weil sauer, Nebel ist gefährlich für die Stimmung, Baden ist schlecht für deine Haut, Leben ist generell schlecht und gefährlich.
Die Zeitungen schreiben, wir sind in der Weltfinanzkrise, wir leben alle zu lange, wir werden zu alt. Wir können uns die Alten nicht leisten. Wir sind zu fett, oder zu dünn, leben zu ungesund und werden mit sechzig sterben.
Was nun? Leben wir nun zu lange oder zu kurz?
Soll ich hundert werden oder soll ich mit sechzig abtreten?
Es fängt ja schon in der Früh an. Gleich nach dem Aufstehen. Brust untersuchen, ob da kein Knötchen ist. Haut anschauen, ob da nicht irgendwo ein Melanom lauert. Und was tust du, wenn dir was auffällt? Selber schnipseln oder zum Arzt gehen? Wir dürfen doch nicht so oft zum Arzt gehen, die Krankenkasse hat eh kein Geld mehr. Und all diese Untersuchungen, diese teuren. Wenn ich nun einen Knoten spüre in meinem Busen, soll ich zum Mammographen gehen? Das ist gefährlich. Weil die Strahlenbelastung ist viel zu hoch. Also soll ich den Knoten Knoten sein lassen und warten, bis er wieder verschwindet?
Männer sollen ihre Hoden untersuchen, heißt es. Jeden Tag. Na, da haben sie wenigstens eine Ausrede zum Herumspielen am Hosentürl. Die haben’s immer besser, die Männer.
Immer.

4 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

Dies ist ein oft geäusserter ... Irrtum, Frau Lehra, der leider auf gegenseitigem Halb- oder Missverständnis beruht.

Schauen Sie, wenn Männer es besser hätten, warum sterben sie dann überall auf der Welt früher als Frauen?

Anonym hat gesagt…

HA! genau DESWEGEN hängen ja kameras über den bankautomaten: um die ferkel zu ertappen, die vorm geldabholen in der nase bohren!

wie gut, dass du dich so gerade noch selbst geoutet hast, bevor das foto veröffentlicht wird.

mildernder umstand.

Zechbauer hat gesagt…

Was glaubst Du wohl, wie anstrengend das ist ... jeden Tag ... mehrfach.

amadea's world hat gesagt…

Na, bin eh froh, dass ich a Frau bin!
Wenigsten dürfen wir a bissl Nase bohren.