Dienstag, Dezember 25, 2007

send me an angel


Es läutet an der Tür. Ich mach auf und da stehen drei Jugendliche.
Verkleidet als Engel.
Einer davon ein Bursch. Grad der hat einen Heiligenschein. Keinen echten. Ein Drahtgestell, zu einem Heiligenschein gebogen. Ich bin ja gewohnt, dass die drei heiligen Könige kommen und für die Caritas sammeln. Aber drei Engel? Wofür die wohl sammeln? Aber darüber kann ich mir nun keine Gedanken machen.
Weil sie beginnen zu singen. Es ist eher ein Krächzen.
Stiiiiiiiiiiiiiiiiiiiihille Naaaaaaaaaaaaaacht, heiiiiiiiiiiiiiiiiiiilige Nacht.
Ich bin ein wenig überrascht. Überrascht, dass drei Jugendliche so laut singen, vor allem ein Weihnachtslied und vor allem so falsch.
Aus, aus, so geht das nicht, schreie ich dazwischen. So kann man nicht singen, Kinder. So nicht.
Schließlich habe ich noch vor einigen Jahren Musik unterrichtet und es ist meine Pflicht als Lehrerin, sie ein wenig zu unterrichten, auch wenn Heiligabend ist. Nun hört mir mal zu.
Aaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaalles schlääääääääft, einsam waaaaaaaaaaacht.
Sie starren mich an.
Klar, dass sie überrascht sind. Bei der tollen Stimme, bei diesem Ausdruck.
Der Bursch hat aufgehört zu singen, aber die Mädchen singen weiter. Ich finde das gut, wenn man nicht so schnell aufgibt. Die Jugend heutzutage ist eh so schnell frustriert und gibt gleich auf, wenn man sie kritisiert. Mir gefällt es, dass sie weiter singen, in Konkurrenz mit mir treten, besser sein wollen als ich obwohl die natürlich keine Chance haben, eh klar.
Ich habe ja jahrelang gesungen.
In einem Dreigesang, später in England Karaoke. Im Pub. Das ist zwar schon einige Jahre her, aber singen kann ich immer noch.
Jeden Abend habe ich gesungen. Jeden Abend meines dreiwöchigen Englandurlaubs. Und wie ich gesungen habe. Ich sag dir. Du hättest mich hören sollen. England kommt ja bei Karaoke gleich an zweiter Stelle nach Japan. In England gibt’s gute Sänger, durchaus. Nicht nur natürlich. Da war eine. Eine, die auch jeden Abend sang. Dagmar hieß sie. Dagmar sang jeden Abend im Wellington. Im Wellington in Minehead.
Minehead liegt in der tiefsten Provinz in Somerset. Aber ich liebe tiefste englische Provinzen. Für ein paar Wochen im Jahr jedenfalls.
Dagmar war aus Dresden. Dagmar war jeden Abend im Wellington. Immer im selben Rock. Rot mit weißen Punkten. Rot und Plissee. Dagmar erzählte mir jedes Mal, dass sie demnächst heiraten würde.
Als ich sie dann im Jahr darauf fragte, wie ihr das Eheleben gefiele, war immer was dazwischen gekommen.
Geheiratet hat sie nie.
Dagmar hatte nie Geld.
Die Arme.
Sie arbeitete als Gärtnerin. Und als Gärtnerin verdienst du nix. Nicht in England und nicht als deutsche Gärtnerin. Die Deutschen sind nicht berühmt für ihre Gärten. In England jedenfalls nicht. In England sind die nur berühmt für ihre Autos. Und für die Brautwurscht und das Sauerkraut.
Dagmar sang immer dasselbe Lied. Light my fire.
Ich sag dir, das war was. Sprechgesang der feinsten Sorte. Englischer Sprechgesang mit Dresdner Akzent. Das kam nicht so gut an. Aber manchmal erwischte Dagmar doch einen, der ihr ein Pint bezahlte und mit dem sie dann heimging.
Ich sang mehr als ein Lied beim Karaoke im Wellington.
Yeah, Amadea from Australia, grölten einige, die mich schon kannten.
Ich sang alles von Tina Turner bis Shirley Bassey und den Beatles.
Du brauchst nun gar nicht zu lachen. Ich sang wunderbar. Und ich bekam immer wahnsinnig viel Applaus. Weil ich so gut sang.
Mein Exmann meinte dann immer, das könne nicht wegen des Singens sein, das müsse was anderes sein. Der kurze Rock, meinte er.
Jedenfalls fiel mir all das ein, als ich diese Zeile von Stille Nacht sang. Ich sah sie vor mir, die Dagmar in ihrem Plisseerockerl und das Pub sah ich auch und mich auf der Bühne und den Applaus hörte ich.
Tausend Gedankensplitter waren auf einmal in meinem Kopf. Tausend Gedankensplitter während ich Alles schläft, einsam wacht sang.
Nur das traute, hochheilige Paar, singen die beiden weiter.
Holder Knabe im lockigen Haar, singe ich. Natürlich singe ich viel schöner und besser. Viel richtiger.
Ich weiß schon, dass nicht jeder so gut singen kann wie ich und darum lasse ich sie meine Überlegenheit auch nicht spüren. Ein bissl a pädagogisches Gespür hab ich ja doch, nach all den Jahren des Unterrichtens. Das Lied ist aus und ein Bursch hält die Hand auf. Der mit dem Heiligenschein. Ich ignoriere das. Ich frage: Singt ihr für die Caritas?
Sie schütteln alle drei den Kopf. Der mit dem Heiligenschein hört gar nicht auf zu schütteln. Der Heiligenschein wippt nur so.
Ihr singt nicht für die Caritas, frage ich? Dann gibt’s auch kein Geld.
Es wird schon glei dumpa, es wird schon glei Nocht, singt er schon wieder, der mit dem Heiligenschein. Drum kimm i zu dir her, mei Heilond auf d’Nocht. . .
Aus, aus, rufe ich. Es ist zwar auf d’Nocht, aber der Heiland bin ich nicht und Geld bekommt ihr keins von mir. Aber – hört gut zu, ich habe eine Idee. Ihr übt noch a bissl und zu Dreikönig könnt ihr wieder kommen. Und wenn ihr besser seid, dann geh ich mit euch. Von Haus zu Haus geh ich dann mit euch. Und wir singen und ich sing a bissl mit und wir sammeln.
Die drei strahlen.
Wir sammeln Geld.
Die drei strahlen noch immer.
Wir sammeln Geld für die Caritas.
Mit einem Schlag ist das Strahlen weg.
Und der Heiligenschein aus Draht wippt wieder. Hin und her wippt der. Gemeinsam mit dem Kopf vom Engel, vom jugendlichen.
Und dann sind sie weg, die Engel.
Frohe Weihnachten, rufe ich ihnen nach. Und - Vergesst nicht zu üben, jeden Tag.

6 Kommentare:

JMH hat gesagt…

Danke, glückliches Neues Jahr.

Anonym hat gesagt…

Hej Amadea!

Dir auch das Beste für die neuen Tage!

Kult entdecken - du weißt.

hannamaja hat gesagt…

vielleicht solltest du "rockstar" singen und mit ihnen von haus zu haus gehen?

Anonym hat gesagt…

ein stilles,
heiliges
lied.

amadea's world hat gesagt…

jmh, roman - Danke für die Wünsche.

anna, vielleicht um vier Uhr früh?

Ja, ist es, 500.
Ich übertreib jo immer a bissl :-)

solo hat gesagt…

Die Schönheit in der Wiederholung erschliesst sich nicht gleich jedem. In Wirklichkeit sang Dagmar die vielleicht eine Fuge oder ein ganzes Doors-Oratorium. "Come on Baby": hier geht es eindeutig um das Christkindlein. "Light my fire" bedeutet: Erleuchte mich zum Glauben.

Ach, der deutsche Garten mit seinen Linden und Eichen... Der deutsche Garten hat im Gegensatz zum englischen noch Beete, ist Landwirtschaft im kleinen und dient nicht nur dem Sitzen und Wandeln! Wie zierlich die Spargel in Reih und Glied, und an der Erde die Beere bringt Sinnenschwere. ;D