Freitag, Juli 27, 2007

jagodnak


Es ist schon ein rechtes Kreuz mit meiner Orientierung. Da bin ich schon fast am Ziel und dann verfahr ich mich mehrmals.
Dabei habe ich die Straßenkarte wirklich genau studiert. Ich bleib stehen. Da ist ein kleines Restaurant. Restaurant ist übertrieben. Ich weiß gar nicht, wie man dazu sagt. Eine Terrasse halt. Mit zwei Schildern vorn dran. Eins mit einer Bierflasche und das Zweite mit dem CocaCola-Schriftzug.
Besser hätte ich es mir nicht einteilen können. Es ist zwölf.
Die Hitze schlägt mir entgegen und nimmt mir kurz den Atem.
Da sitzen nur Männer. Mittagspause. Straßenarbeiter und Pensionisten. Sie wirken alle schüchtern. Schauen mich fast nicht an. Und wenn, dann nur von der Seite.
Und ich bestelle ein Cola und breite meine Straßenkarte aus.
Can anyone help me? Einer kann englisch. Er ist besser gekleidet als die anderen. Er kommt zu mir an den Tisch und erklärt mir, dass ich fast da bin. Nur mehr zehn Kilometer. Jagodnak, sage ich immer wieder.
Ein jüngerer meldet sich zu Wort. Der Mann an meinem Tisch übersetzt. His girlfriend is from there. Zum Schluss frage ich, ob ich fotografieren darf. Den einen Mann mit dem Hut.
Und dann tauen sie alle auf. Ich bin schon beim Gehen und sie wollen mich einladen. A drink, lady? Aber ich bin schon weg. Vom Gefühl müsste ich hier links fahren. Aber links geht nicht. Baustelle.
Also gerade aus.
Die Dörfer hier sind hier klug gebaut. Direkt neben dem Straßenrand verläuft ein Graben, in dem vermutlich mal Wasser war. Aber der ist ausgetrocknet.
Vor jedem Haus eine eine Einfahrt und dahinter Bäume.
Beim Fahren sehe ich immer wieder Kinder barfuß entlang der Häuserreihen gehen. Das erinnert mich an meine Kindheit. Ich ging immer barfuß. Einige Familien sitzen vor ihren Häusern im Schatten. Teils auf Stühlen, teils im Gras. Gemütlich sieht das aus. Sie sitzen da und tratschen. Jung und alt. Irgendwie beneidenswert.
Ich fahre vorbei an Sonnenblumenfeldern.
Dann ein Acker, auf dem Störche nach Futter picken. Es gibt keine Möglichkeit, anzuhalten. Gern hätte ich sie fotografiert. Einen Storch sah ich nur einmal in meinem Leben. Als ich noch klein war. Er hatte auf dem Kamin der Waschhütte sein Nest gebaut.
Ich merke, ich bin zu weit gefahren. Ich drehe um. Schon zum dritten mal fahr ich an der Baustelle vorbei.
Und da, die Kirche, da muss ich abbiegen. Umleitung. Durch das Dorf Mece und bei der Kirche nach links.
Ich bin aufgeregt und mir fallen die Geschichten ein, die mir meine Oma erzählte. Mama hat mir nie viel erzählt. Ein wenig schon. Einmal blieb sie im Winter mit der Zunge am Brunnenrand kleben, weil es so kalt war. Sie erzählte auch von einer Sommer- und Winterküche. Die Mädchen schliefen in der Winterküche und die Buben in der Sommerküche. Und sie erzählte, dass sie jeden Tag den Hof kehren musste. Und dass am Abend Opa immer Geige spielte, und Oma am Spinnrad saß und Geschichten erzählte oder sang. Für mich hat das immer romantisch und aufregend geklungen. Und wenn Oma von der Flucht erzählte, so klang das abenteuerlich. Wir mussten in einen Zug hinein. Und wir wussten nicht, wo wir hinkamen. Und da war Suppe in einem großen Behältern Und oben schwammen Maden drauf. Wir mussten weg von heut auf morgen. Weil der Russ' ist gekommen. Und wir durften fast nichts mitnehmen. Nur das, was wir tragen konnten. Ja, der Russ', der Russ' war böse. Und über die Serben schimpfte der Opa so lang er lebte. Und über die Partisanen.
Endlich das Straßenschild. Jagodnak. Ich habe Herzklopfen. Im Dorf ist es still. Niemand ist zu sehen. Klar, bei der Affenhitze. Es ist mittlerweile fast zwei Uhr. Ich halte vor der Post an und mache mich auf den Weg.
Und dann stehe ich vor dem Haus meiner Mama. Ich kenne es von Fotos. Auf der Mauer vor dem Haus sitzt ein alter Mann.
Ich steige aus und frage nach der Familie meiner Mutter. Ich nenne nur den Namen. Den Namen meines Großvaters und den Mädchennamen meiner Großmutter. Er nickt.
Als ich den Fotoapparat raushole und frage, ob ich fotografieren darf, nimmt er seine Kappe ab, streicht sich sein Haar zurecht und blickt in die Kamera. Traurig sieht er aus. Er wohnt allein hier. In dem einen Zimmer, das es noch gibt. Der Rest des Hauses ist verfallen.
Das Zimmer war die ehemalige Winterküche. Unglaublich, dass man hier hausen kann. Als wir wieder hinausgehen, ist ein anderer Mann da. Der Nachbar, der gegenüber wohnt. Milan, stellt er sich vor. Er ist freundlich. Er strahlt, als ich ihm den Namen meines Großvaters nenne und erzählt irgendwas, lachend. Aus dem Auto hole ich Bettwäsche, die ich mitgenommen habe. Meine Großmutter hat sie mir vermacht. Schöne, weiße Bettwäsche, aber nicht passend für die heutigen Größen. Polster und Tuchent zu klein.
Ich gebe sie den beiden. Sie nehmen sie voll Freude. Milan lädt mich ein. Er wohnt gegenüber.
Wir überqueren die Straße. Stolz zeigt er mir seinen neuen Traktor. Er bittet mich in die Küche. Ich lehne ab und deute auf den Tisch im Innenhof. Wir sitzen da und er holt eine Flasche Cola und zwei Gläser. Wir trinken und stoßen an. Er lacht die ganze Zeit. Nur mehr zwei Zähne hat er. Und dann rufe ich Mama an. Milan staunt als er mein Handy sieht. Und er redet mit Mama, die auch kein kroatisch spricht. Aber seine Augen leuchten.
Als ich mich verabschiede von ihm, macht er ein Kreuz auf meine Stirn.
Ich fahre zum Friedhof. Viele alte Gräber, deren Namen man auf den Grabsteinen nicht mehr lesen kann.
Es ist unmöglich, das Grab meiner Urgroßoma zu finden. Ich bin erschöpft. Die Sonne brennt vom Himmel. Als ich wieder vorbeifahre am Haus meiner Mutter, winken mir die Männer zu. Sie sitzen noch immer auf der Mauer.
Diese Reise zu meinen Wurzeln war interessant, aber ich wurde nicht sentimental. Es hat nichts zu tun mit meinem Leben.
Aber gestern, als ich meine Mutter besuchte und ihr erzählte, sah ich die Tränen in ihren Augen.
Und auf einmal sah ich das kleine Mädchen. Und ich wurde doch sentimental.

3 Kommentare:

saxana hat gesagt…

Ist nich dein Leben aber das deiner Mutter. Schön, dass du es gefunden hast, ds Haus und die Männer.

Anonym hat gesagt…

Ich war mit meinem Vater auch ein paar Mal in Schlesien, sein Geburtshaus anschauen. Und hier hat die Oma gewohnt und da drüben Onkel Fritz.

P.S.: Erst einmal einen Storch gesehen??? Hier gibt's Bäume oder Dächer, da sind gleich fünf (!) Nester drauf. Und jedes ist besetzt.

amadea's world hat gesagt…

ja, saxana :-)

störche haben was mystisches - für mich jedenfalls.
und das nicht nur wegen der babys.