Freitag, Dezember 29, 2006

owi lacht

Posted by Picasa
Traditionen sind wichtig bei uns. Bei uns im und am Land.Und auch in unserer Familie. Vor allem zu Weihnachten. Eigentlich ist es nicht mehr das übliche Ritual, das wir veranstalteten vor vielen Jahren, als ich noch jung an Jahren und meine Schwester ein Dreikäsehoch war.
Es ist eigentlich nur mehr ein Abklatsch des ursprünglichen Rituals, eine Art Überbleibsel, und man huldigt ihm mehr oder weniger intensiv.
In der Art – eigentlich freut uns das nicht mehr und eigentlich ist es ein Muss, aber man kann doch nicht, man darf doch nicht, auf keinen Fall darf man - all das Althergebrachte abschaffen, man muss doch, auf jeden Fall muss man – die alten Traditionen pflegen.
Man muss wirklich.
Vor allem zu Weihnachten.
Der 24. Dezember war ein Fasttag. Zu Mittag gab es ein Bachlkoch - Wir sagen Bachikoch dazu. Wie ich es hasste. Ein hellbraunes Mehlmilchgemisch, darüber Honig und zerlassene Butter.
Am Abend gab es erst mal endloses Beten des Rosenkranzes. Alle versammelt in der Küche, Mama betete vor, wir nach und hinten dran immer das Gebenedeitseidiefruchtdeinesleibes. Dann gab es eine kalte Platte mit allem Drum und Dran. Das beste war der gekaufte Paprikasalat und das Russenkraut und die Rollmöppse aus dem Glas.
Und irgendwann läutete dann Mama heimlich mit dem Glöckchen. Komischerweise musste sie vorher immer auf die Toilette. Und ich wusste, wenn Mama am Heiligabend auf’s Klo musste, war das Christkind nimmer weit.
Bescherung hieß das dann und heißt das heute noch.
Und wir gingen alle langsam ins Wohnzimmer. Langsam gehen war wichtig an so einem heiligen Tag.
Dann gab es endloses Singen sämtlicher Weihnachtslieder.
Beim Lied "Stille Nacht, Heilige Nacht" musste ich immer lachen. Irgendjemand hatte mir irgendwann darüber einen Witz erzählt. Und daran musste ich immer denken wenn wir „Oh wie lacht“ sangen. Und ich dachte an den kleinen Owi, der lacht und lachte auch.
Heimlich natürlich. Beim Singen schielte ich immer auf die Packerl, die unter dem Baum lagen. Schiel nicht, schau den Christbaum an, raunte mir Papa dann ins Ohr. Dann teilte Mama die Geschenke aus.
Papa mahnend – Langsam auspacken, Zeit lassen. Und legt schön das Papier zusammen. Und seid nicht so hektisch. Zuerst schaut man das schöne Packerl an, dann schaut man den Packerlanhänger an und man liest was draufsteht. Nicht aufreißen, das Packerl. Auf keinen Fall.
Und nimm nicht immer das größte und schönste Keks. Das sagte er auch immer zu mir. Du musst immer das größte und schönste haben. Man nimmt einfach das Keks, das ganz oben liegt.
Ja, sagte Mama. Das schönste und größte gehört dem Papa.
Wir in Österreich sagen ja Keks zu einem Weihnachtsplätzchen und zu mehreren Weihnachtsplätzchen sagen wir auch Keks. Im Österreichischen gibt es den Plural für Keks nicht. Und Keks ist Neutrum. Das Keks, die Keks. Im Duden steht das anders. Aber wir sagen trotzdem niemals den Plural. Nicht bei Keks.
Nach dem Auspacken und manchmal schon währenddessen gab es Keks und Eierlikör.
Mir wurde jedes Mal schlecht.
Und irgendwann zwischen Schlechtwerden und Packerl auspacken holte Papa aus dem Keller die alte Maurerkelle, die noch da war vom Hausbauen und nur zur Weihnachtszeit verwendet wurde. Da kamen dann Kohlen rein. Die glühten dann nach einer gewissen Zeit. Dann kam Weihrauch drauf.
So, Zeit zum Räuchern gehen, rief Papa.
Und dann sausten wir durch das ganze Haus, Papa vor mir, ich hintendrein, Papa die Maurerkelle schwingend, ich hustend und betend – den Rosenkranz mit dem ganzen Gebenedeitseidiefruchtdeinesleibes – ganz hinauf in den Dachboden, und dann ganz hinunter in den Keller und dann hinaus und rund ums Haus, Papa mit der rauchenden Maurerkelle und ich hintendrein betend und hustend.
Das Spektakel dauerte eine halbe Stunde.
Hiaz miass ma no die Bam fuadan.“ Bäume füttern. Mit dem Bachikoch. Kurz hinein ins Haus, die große Pfanne aus dem Keller geholt, ein Erbstück meiner Oma, Bachikoch hinein, und dann hinaus in den Garten – hin zu jedem Obstbaum, und das Bachikoch am Fuße desselbigen verteilt. Damit sie im kommenden Jahr wieder gut tragen, sagte Papa.
Etwas Bachikoch verteilte er in der Nähe des Gartens.
Für die Rehlein und Hirsche, sagte er.
Es gab zwar niemals Rehe und Hirsche bei uns im Garten, nur einmal eine Kuh, die sich verirrt hatte, aber irgendwie glaubte ich dem Papa damals, als er mir erzählte, in der Heiligen Nacht kommen die Tiere des Waldes ganz nahe zum Haus.
Und sie reden auch in dieser Nacht. Weil diese Nacht ist eine besondere.
Und dann musste noch die Heiligenachtkerze angezündet werden und Mama stellte sie immer in die Abwasch. Einmal wären wir fast abgebrannt weil die Kerze am Fenster stand am Holzsims und sie war irgendwann in der Nacht umgefallen, und der Vorhang hatte schon angefangen zu glosen und zu stinken und wenn ich nicht aufgewacht wäre, weil mir wieder mal schlecht war von zu viel Keks und Eierlikör, würde ich hier nicht tippen sondern da oben irgendwo beim lieben Gott die Harfe zupfen oder da unten beim Beelzebub das Feuer bewachen.
Danach widmeten sich alle den Geschenken. Ich las immer. Weil mich alles andere, das ich so bekam, nicht interessierte. Bücher bekam ich jedes Jahr. Und eines las ich immer noch am selben Abend aus.
Mama und Papa und manchmal auch Oma, wenn sie mit uns feierte, kamen ins Schwärmen ob der Geschenke.
Oh, wie schön, ein Set Steakmesser – und – Mei, die Gläser, die ich mir schon so lang wünsch. Irgendwann schliefen wir dann alle ein. Oder fast. Das Wohnzimmer überhitzt vom Kachelofen die Luft stickig von Wunderkerzen, die Bäuche voll.
Dann, wenn man wirklich gut schlief, kurz vor Mitternacht, weckte uns Mama.
Auf zur Mette, Kinder.
Und wir zogen die neuen Schuhe, die zu groß waren, an – Jammer nicht, du wächst da schon rein – und zogen die Fäustlinge an, selbst gestrickt - Jammer nicht, die kratzen nicht, du bist nur empfindlich - und schlüpften in den alten Mantel – Jammer nicht, der ist noch gut, nächstes Jahr gibt es einen neuen – und machten uns auf.
Zu Fuß zur Mette. Kalt war es und müde waren wir. Wir gingen ins Dorf Richtung Kirche. Und viele andere gingen auch.
Und es gab ein Wünschen und Händeschütteln und Nachfragen.
Habt’s es eh schön g'habt?
Und ein Erzählen von den Geschenken, ein Fondue-Geschirr von der Tante Hermi und eine Tischdecke von der Annatant und Schnapsgläser von der Schwiegermutter und Socken und Klotzenbrot von der Oma und mein Mann hat mir eine Kropfkette geschenkt. Aus Silber.
Ich gähnte und gähnte und mir war kalt und ich hatte das Gefühl – Gleich fall ich um.
Doch da ging es erst richtig los. Vorher das Turmblasen. Es heißt nur Turmblasen. Niemand blies im Turm. Sie bliesen vor dem Kirchentor. Die Bläser. Es ging immer mit dem selben Lied an.
Tü-tü-tü-tüüüü. Wer klopfet an?
Und die Leute trugen alle ihre neuen Mäntel und Mützen und Schals und manchmal hing irgendwo am Kragen ein Preisschild raus.
Und vorne der Pfarrer im goldenen Ornat. Und ich gähnte und hustete. Die ganze Kirche im Weihrauchnebel und der Ministrant schwenkte wie besessen das Weihrauchgefäß. Wie aufgezogen. Vermutlich schlief er auch schon fast so wie ich.
Die Mette dauerte zwei Stunden. Und obwohl ich nicht bei der Beichte gewesen war, ging ich zur Kommunion weil wenn ich nicht gegangen wäre, hätte Papa gefragt- Warum gehst nicht zur Kommunion, warst nicht beichten?
Und das konnte ich ihm auf keinen Fall sagen. Also ging ich zur Kommunion und nahm mir vor, zu Ostern zu beichten, dass ich zu Weihnachten ohne vorher zu beichten bei der Kommunion gewesen war.
Dann um zwei war das Spektakel vorbei. Die Krippe mussten wir noch anschauen und bewundern. Das musste sein, hatte Papa doch die Krippenfiguren geschnitzt und richtete er doch jedes Jahr die Krippe her zu Weihnachten.
Schau, wia sche des Christkindei is! Schau! sagte Mama und strahlte.
Jo, sche, mehr konnte ich nicht sagen und ich lächelte wenn ich merkte, dass mich meine Eltern beobachteten.
Dann noch bei meiner Oma Würstlsuppe essen. Da war es dann schon fast halb drei Uhr nachts. Danach war mir noch schlechter als zuvor weil es nach der Würstlsuppe Klotzenbrot gab mit Butter und Punschtee.
Um halb vier dann ging es endlich ins Bett.
Am Weihnachtstag mussten wir wieder in die Kirche.
Ins Hochamt muss man zu Weihnachten, sagte Mama.
Dabei war ich noch gut dran. Meine Freunde mussten auch am Stefanitag in die Kirche zur Neunuhrmesse.
Und heute ist es so, dass die Mette nicht mehr im Mitternacht stattfindet sondern um neun Uhr abends schon.
Und den Heiligabend feiere ich nicht mit meinen Eltern, obwohl sie mich jedes Jahr einladen, sondern mit meinen Söhnen.
Und ich bin selber überrascht, dass ich es jedes Jahr schaffe, nein zu sagen.
Und die Bäume werden auch nicht mehr gefüttert. Wir brauchen nicht mehr so viel Obst, sagt Papa. Aber Räuchern gehen, sagt er, Räuchern gehen, das muss sein.
Papa voran und mein Neffe hinten nach. Und die Heiligenachtkerze steht immer noch in der Abwasch.
Weihnachtslieder singe ich noch. Wir singen sie alle gemeinsam. Am Weihnachtstag. Die ganze Familie. Die Oma gibt es nicht mehr. Aber ich denke an sie. Nicht nur zu Weihnachten.
Wir singen alle noch, meine Eltern, meine Söhne, meine Schwester mit Familie. Bei "Oh, wie lacht“ denke ich immer noch an den Witz vom Owi. Und ich lache immer noch. Aber nicht mehr heimlich.
Sehr lange singen wir nicht. Nur einige Lieder. Und von denen nur die erste Strophe. Die anderen haben wir vergessen. Mehr oder weniger.
Und Papa lässt mich mittlerweile meine Geschenke so schnell auspacken wie ich will. Eigenartigerweise packe ich sie langsam und gemächlich aus. Und freue mich sogar über selbst gestrickte Fäustlinge. Auch wenn sie kratzen.

3 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

ihr österreicher..
bis halb vier in der nacht
die kinder mit eierlikör abfüllen,
stundenlang rosenkränze beten,
ihr hattet es gut.
ihr hattet das mittelalter noch bis
letztens.

amadea's world hat gesagt…

Nur wussten wir damals nicht, wie gut wir es hatten....

sabrina hat gesagt…

"ihr hattet mittelalter noch bis letztens" schön:)

Ich steh auf Rituale und es liest sich wie mit ganz viel Schnee und Kerzenschein und Knisterei. Sche:)