Montag, Dezember 11, 2006

mama's little helper

Posted by Picasa
Es gibt Dinge, an die ich mich in der Vorweihnachtszeit ungern erinnere.
Da ist einmal der Weihnachtsputz. Meine Mutter putzte das ganze Haus von oben bis unten. Da wurde geschrubbt und gewischt, die Vorhänge wurden gewaschen, die Küchenschubladen und –kästen ausgeräumt und mit neuem Wachspapier ausgelegt, das Silberbesteck wurde geputzt, die teuren Gläser aus Tante Marias Nachlass wurden gewaschen und poliert, die Matratzen und Teppiche ausgeklopft, der Küchenherd und der Kachelofen gekehrt und Keller und Dachboden ausgemistet. Es war ungemütlich. Sehr ungemütlich. Weil die Fenster standen alle offen zum Durchlüften. Herd und Kachelofen waren fast immer kalt und das Geschirr stand herum. Überall.
Auch das Backen der Weihnachtskekse habe ich in wenig guter Erinnerung. Wochen zuvor musste ich jeden Abend Walnüsse entkernen, Birnen und Äpfel schneiden, damit Mama sie trocknen konnte für das Kletzenbrot. Wenn es dann soweit war, dass die Zutaten bereit waren, fing die Arbeit erst richtig an. Mir wurde schon übel, wenn ich nach der Schule heimkam, denn es roch nach Schokolade, Marzipan und Marmelade. Es roch überall süß. Und Mama stand verschwitzt und aufgelöst am Küchentisch. Schälchen mit Walnüssen, Rosinen, Kokosraspeln und Korinthen standen herum und Mama rollte gerade den fünften Teig aus. Und wenn ich dann fragte, ob ich was zu essen haben könnte, zuckte sie nur mit den Schultern, meinte kurz, "Such dir was und nimm bitte das Blech mit den Vanillekipferln aus dem Herd und schäl mir dann die Mandeln."
Die schlimmste Erinnerung an Weihnachten ist das Verpacken von Geschenken. Jedes Jahr fragte mich Mama: "Kannst du mir bitte helfen, die Geschenke einzupacken?" Das Wort helfen hat bei meiner Mutter eine ganz eigene Bedeutung. Helfen bedeutet bei meiner Mutter nicht, dass man ihr wenig zur Hand geht. Nein. Helfen heißt bei meiner Mutter, dass sie mit irgendetwas beschäftigt ist, mit dem Backen von Keksen zum Beispiel, oder mit Ofen kehren, während ich die Arbeit, bei der ich eigentlich helfen hätte sollen, allein erledige. Mit dem Ergebnis, dass es ihr nicht passt, sie alles wieder auspackt und schimpfend wiederum einpackt.
Und ich inmitten von Schächtelchen und Schachteln, silbernem Geschenkspapier mit goldenen Sternen, goldenem Geschenkspapier mit silbernen Glöckchen, rotem Geschenkspapier mit grünen Tannenbäumen, grünem Geschenkspapier mit roten Kerzen, goldenem Geschenksband mit silbernen Sternen, silbernem Geschenksband mit goldenen Sternen, roten Packerlanhängern mit grünen Glöckchen, grünen Packerlanhängern mit roten Kugeln, Klebeband und Schere.
"Da ist die Liste", sagt sie, "Und hier sind die Geschenke." Und sie gibt mir ein Blatt Papier mit all den Namen und Geschenken von Cousinen, Cousins, Onkeln, Tanten, Großonkeln, Großtanten, Neffen, Nichten und Namen, die ich noch nie gehört habe. Und dann holt sie drei Waschkörbe von Zeugs. Und alles voll mit Spielzeug aus Holz, Plastik und Metall, unzähligen Paaren von selbst gestrickten Socken, Fäustlingen und Schimützen in allen Größen und Farben, Kerzen mit Engeln, Sternen und Glocken in allen Größen und Farben, schmalen und bauchigen Fläschchen und Flaschen mit Schnaps, Likör und Duftschaumbad, runden und eckigen Seifen, großen und kleinen Packungen Konfekt, selbst gemachter Marmelade, selbst eingelegtem Knoblauch und selbst gekauftem Speck.
Ich fange an mit dem ersten Packerl.
„So geht das nicht“, sagt sie, noch bevor ich überhaupt begonnen habe. Und schon sitzt sie da, Schere und Klebeband schwingend. Und sie schneidet und schnipselt, dann springt sie auf, läuft ins Schlafzimmer, weil sie hat die kleinen goldenen Sterne vergessen, saust wiederum herein in die Küche, schwingt wiederum Schere und Klebeband, springt nochmals auf weil sie das kleine Schächtelchen, das sie aus dem Geschäft mitgebracht hat, im Einkaufskorb vergessen hat.
Gleich darauf ist sie wieder da und man glaubt, nun geht es richtig los.
Aber irgendwie passt das Papier nicht zum Geschenk oder das Geschenkband nicht zum Geschenkspapier. Dann ist das Schächtelchen zu groß oder zu klein oder zu lang oder zu schmal. Innerhalb kürzester Zeit ist sie begraben unter Geschenkspapier, Geschenksband, Schächtelchen, Schachteln, Klebeband, goldenen und silbernen Sternen und Packerlanhängern. Dann und wann raschelt es und man sieht kurz eine Hand mit Schere, die gleich darauf wieder verschwindet. Manchmal sieht man kurz ihren Kopf auftauchen aus dem Geschenkspapiermeer. „Du bist mir keine Hilfe“, sagt sie dann jedes Mal.
In all den Jahren der Geschenke-Einpack-Orgien habe ich mir abgewöhnt, meine Meinung zu sagen. Es bringt nichts. Meine Mutter hat immer die besseren Argumente. Jedenfalls scheint es so.
Das ist aber alles Geschichte und längst vergangen.
Als ich selber Familie hatte, hat sie mich nie mehr um Hilfe gefragt. Dafür bin ich dem Christkind oder dem lieben Gott oder meiner Mutter oder wem auch immer, unendlich dankbar.
Ich glaubte, die Tage des Geschenke-Einpacken-Helfens seien nun endgültig vorbei.
Ich habe sogar vollkommen darauf vergessen, all die traumatischen Erlebnisse verdrängt, weit hinunter in mein tiefstes Unterbewusstsein. Jahrelang nicht mehr daran gedacht.
Bis gestern.
Gestern war es wieder so weit.
Gestern stellte mir meine Mutter wiederum die unselige Frage: „Kannst du mir helfen, die Geschenke einzupacken?“
Und da erinnerte ich mich wieder. Wie eine Sternschnuppe war dieses Gefühl wieder da, dieses Gefühl, alles falsch zu machen. Und das Bild war wieder da. Meine Mutter inmitten von all dem raschelnden Papier, ich daneben, hilflos, sprachlos, das Geräusch der Schere beim Geschenkband abschneiden.
Und ich war so mutig, zu antworten – ich war selbst überrascht von mir – „Ja, ich helfe dir, aber lass mich machen wie ich will und rede mir nicht drein.“
„Das tu ich doch immer“, antwortete sie kurz und beleidigt, und – „Hab ich dir je dreingeredet? Fang mit dem Geschenk für David an.“
David ist der Sohn meiner Schwester, also mein Neffe und Mamas Enkelkind. Nach kurzem Zögern erklärte ich mich bereit, das Geschenk einzupacken. Ich hatte zwar Bedenken, dass das lang dauern könnte und ich zu Mitternacht noch immer beschäftigt sein würde. Aber ich sagte nichts.
„Es sind nur zwei Packerl“, sagte Mama. So als ob sie mich beruhigen wollte. "Ein T-Shirt und ein Auto. Da hast du Geschenkspapier.“
Und sie gab mir einen rosaroten Bogen mit kleinen, gelben Blümchen drauf.
„Bist du dir sicher, das ist das richtige Papier, Mama? fragte ich.
„Ja, das passt schon. Fang an.“
Sie nahm die Schere, schnipselte kleine Stückchen Klebeband ab und klebte sie an den Tischrand. Und während ich sorgfältig das Auto einpackte, war sie schon da mit einem hellblauen Geschenkband.
„Mama, bist du dir sicher, dass dieses Packerl für David passt? Das ist ja gar kein Weihnachtspapier. Das ist doch ein Geburtstagsgeschenkpapier. Und eher für Mädchen mit den Blümchen da drauf. Rosa, gelb und hellblau. Das passt doch nicht. Das kannst du zu Ostern verwenden, nicht jetzt, zu Weihnachten.“
„Mein Gott, bist du kleinlich. Es ist wurscht, wie es verpackt ist. Wichtig ist nur, was drinnen ist."
Ganz was Neues. Ich war sprachlos.
Ich kann mich nicht erinnern, dass in all den Jahren, in denen ich meiner Mutter half, Geschenke einzupacken, irgend jemand zu Weihnachten ein Geschenk erhalten hatte, das nicht in Weihnachtspapier eingewickelt war. Ich kann mich auch nicht erinnern, dass irgendein männlicher Verwandter oder Bekannter jemals ein Geschenk erhalten hatte, das in Blümchenpapier eingewickelt war, noch dazu in rosafarbenes mit blauem Geschenkband. Rosafarbenes Papier mit Blümchen ist für Mädchen. Ausschließlich. Geschenkspapier für Buben ist bedruckt mit Autos, Fußbällen und ist keinesfalls rosa.
Und zu Weihnachten gibt es Weihnachtsgeschenkspapier. In jedem Fall.
So war das jedenfalls bis zum gestrigen Tage.
„Weißt du“, redete sie weiter. „Es ist wie bei den Menschen. Die Verpackung zählt nicht. Das was drinnen ist, das ist das Wichtige."
Mir blieb der Mund offen.
„Übrigens“, sagte sie. „Was hast du für Jeans an? Die sind ja ganz abgewetzt. Kauf dir doch mal neue. Gut, dass es schon dunkel ist. Was würden die Nachbarn sagen?“

Alle Frauen werden wie ihre Mutter. Das ist ihre Tragödie
-Oscar Wilde-

2 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

die gene sind eben unbarmherzig,
und alles, was wir nicht gleich tun oder sagen möchten wie unsere mütter ist doch ( und das merkt man besonders in ausnahmesituationen, wie zorn oder stress) auf unserer FESTPLATTE gespeichert, jederzeit verfüg,- und abrufbar.

amadea's world hat gesagt…

Nachtrag zum Zitat von Oscar Wilde
- Kein Mann wird wie seine Mutter, das ist seine Tragödie