Donnerstag, September 21, 2006
schlüsselerlebnis
„Take off your shoes, please“.
Gleichzeitig mit mir ziehen fünf Kinder ihre Schuhe aus und stellen sie gemeinsam mit meinen auf das Rollband.
Die Schuhe dampfen.
Stansted Airport nach vier Stunden Bus fahren auf dem Weg heim von Eastbourne.
Mit fünfzig Schülern und Tausenden von Leuten.
„Phew, ich halt das nicht aus“, flüstere ich der Kollegin Bauer zu.
„Ich muss lachen, wenn mich die da durchsucht. Ich bin kitzlig.“
„Hast du heute frische Socken angezogen?“ frage ich Stefan, der vor mir steht.
Ich versuche, nicht einzuatmen.
„Nein, aber vorgestern.“
Ich sage nichts mehr.
„Frau Lehrer", ruft Hannes und drängt sich vor. Dabei stößt er mit seinem Rucksack eine ältere Frau fast um.
„Pass auf. Dein Rucksack!”
“Wos? Hob eh nix to!“ Schon dreht er sich um und stößt die ältere Dame fast wieder um.
„Frau Lehrer, wonn woar’n mia ba da Madame Dessous?“
Ich seufze.
„Vorgestern.“
„Step forward, please.“
Ich bin an der Reihe.
„Stretch out your arms, please.“
Die Dame vom Dienst betatscht mich von oben bis unten.
Es kitzelt. Ich kichere. „Sorry, I am ticklish.“ Sie verzieht keine Miene.
Die Arme.
Was für ein Job.
Stundenlang schwitzende Touristen abtatschen.
„Open your handbag, please.“
„You can’t take that lipstick with you.”
Schon ist mein neuer Lippenstift weg.
“Frau Lehrer, die hot mir die Kugel gnumma!“ schreit Sebastian.
„Was für eine Kugel?“
„De mit’m Ei.“
„Was für ein Ei?“
„Na, de mit dem London Eye und den Schneeflocken.“
„ Selber schuld. Ich habe euch gesagt, keine Flüssigkeiten“,
„I hob eh mei Cola in den Mistkübel g’schmissen.Die Kugel is jo eh zua. Do rinnt eh nix außa.“
Es nützt nichts, die Kugel ist weg.
“May I open your bag?”
“Wos?“ fragt Max.
„Darf sie deinen Rucksack durchsuchen?“
„Jo, kloar.”
“Have you got anything sharp inside?”
“Wos?”
“Any scissors or something?”
„Wos?”
„Ob du spitze Gegenstände im Rucksack hast.“
“Na.”
“But we saw a pistol.”
„Wos?“
“There is a pistol in your bag. We saw it on the screen.”
“Wos?“
„Max, sie sagt, du hast eine Pistole irgendwo da drinnen.
Vielleicht eine Spielzeugpistole.“
„I hob koa Pistoin. Ehrlich nit. I bin koa Terrorist.“
Die Dame vom Dienst öffnet das Federpennal.
Sie zieht einen Schlüsselanhänger heraus.
Aus Metall.
Am Ende eine kleine Pistole.
“What is this?”
“A key. . . sort of. . . sorry, can’t remember the word for it,” stammle ich.
“It is a key fob."
“Yes, thank you. That’s the word. It is a key fob, madam.”
“Mein Schlüsslohänga!“ schreit Max.
„Max, sei ruhig.“
„Für’n Papa kaft.“
„Max, sei einfach nur ruhig. Ja?“
„Der hot fost vier Pfund kost!“ Max ist außer sich.
„Max, du bist nun ruhig. Auf der Stelle.“
„Sorry, madam.“
"This is a key fob, yes. And what is this?" Sie hält mir den Schlüsselanhänger vor das Gesicht. Die Pistole baumelt vor meinen Augen hin und her.
“Well, . . . sort of. . . small. . . tiny. . . ahem. . . thing. . . almost looks like. . . a. . . well. . . almost the shape of a pistol."
“Yes, a pistol.” Die Dame vom Dienst ist nicht erfreut.
Ich muss lachen. Ich kann nicht anders. Ich muss einfach lachen.
Sie schaut böse.
„Sorry, madam. Sorry for laughing. But this is just so funny.”
“Funny? You mean funny?" Sie ist außer sich.
“Sorry, madam." Ich lache noch immer.
“The boy, madam. . . Max. . . see, he didn’t want to do any harm.”
“I hob nix fia mein Papa!” Max schreit.
"Aus, Max!" Ich muss nicht mehr lachen.
“Sorry, Madam, I did not want to insult you. But could you please make an exception? You know, he. . Max . . . bought that thing for his daddy.”
Max setzt wiederum an zum Protest.
"Max, hör sofort auf zu schreien. Beruhig dich und fang an zu weinen. Oder tu wenigstens so.“
Er scheint zu kapieren.
Und er fängt an, zu weinen. Auf Kommando.
Herzerweichend.
Reibt sich die Augen.
Schluchzt lautstark.
„Übertreib nicht, Max.!“
Max schaut auf und ich sehe, dass Tränen über seine Wangen kullern.
Dieser Schauspieler!
„See, Madam. He is so sad.”
“Hold on, I need to get the manager.”
Und weg ist sie.
Mittlerweile umringen Max die anderen.
Sie versuchen, ihn zu beruhigen. Die Dame vom Dienst ist nun schon einige Minuten weg und Max weint immer noch.
„Er weint ja wirklich,“ sagt Christine.
"Hey, Max weint", schreit sie zum Rest der Gruppe, die am Boden sitzt und wartet. Plötzlich stürzen alle herbei.
„Max hör auf, sonst muss ich auch weinen,“ sagt Theresa.
„Wenn ihr nun alle anfangt zu weinen, dann dreh ich durch", sage ich. „Es genügt wenn Max weint."
Die Dame vom Dienst kommt zurück. Mit dem Manager.
Der Manager schaut den Schlüsselanhänger an und dann Max, dessen Augen nun rot sind. Noch immer kullern Tränen.
“Okay, young man. I'll give that thing to your teacher. She will keep it for you.”
Max hört auf zu weinen und grinst den Manager an.
„Thank you very much sir. You are wonderful.”
Dieser Schauspieler!
Aus den Augenwinkeln sehe ich, wie Hannes die alte Frau mit dem Rucksack zum dritten Mal anstößt. Dieses Mal fällt sie um.
Danach sehe ich nichts mehr.
Als ich erwache, liege ich auf dem Boden. Max fuchtelt mit dem Pistolenschlüsselanhänger vor meinem Gesicht herum.
„Was ist passiert?”
„Nix, Frau Lehra. Die Frau Bauer hot ihre Schuach ausziagn miassn. Des hat Sie woahrscheinlich umg’haut.“
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2 Kommentare:
Herrlich! :-)))
Gerade begann die Schule und schon wieder unterwegs?
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