Sonntag, August 20, 2006

the stranger

Posted by Picasa
Mindestens einmal im Leben trifft man eine fremde Person, die einem im Gedächtnis bleibt.
Man erinnert sich sein Leben lang an diese Person obwohl die Begegnung eine flüchtige und kurze war.
Ich traf diese Person vor Jahren als ich im Zug von München nach Salzburg saß. Ich war damals Studentin und hatte eine Freundin besucht.
Es war der Nachtzug. Im Abteil saß ein Geschäftsmann im grauen Anzug, der Zeitung las, eine Frau, die sich in ihr Buch vergrub und niemals aufschaute, ein Liebespaar, das Händchen hielt und sich ständig küsste und ein Betrunkener, der den Kopf gesenkt hatte und schlief.
Kurz bevor der Zug abfuhr, stieg ein Mann in einem schwarzen Mantel ein. Ich sah ihn kommen, die automatische Tür schloss sich hinter ihm. Er setze sich mir gegenüber. Er war um die vierzig Jahre alt.
Er sah mich an, also lächelte ich höflich.
Ich mag es nicht, wenn einen Leute einfach ignorieren. So als ob man nicht da wäre.
Ich frage mich ohnehin, warum Leute im Zug nicht mehr miteinander reden.
Der Mann lächelte zurück. Er war schlecht rasiert, sein Haar war wirr und wirkte ungekämmt. Aber er sah sympathisch aus.
Der Zug fuhr ab.
In diesem Moment erhob sich der Betrunkene und begann zu tanzen.
Ein irgendwie peinlicher Moment. Die lesende Frau vergrub sich ganz in ihr Buch. Man sah ihr Gesicht nicht mehr.
Der Geschäftsmann schaute kurz auf, runzelte die Stirn, raschelte mit seiner Zeitung und las weiter.
Das Liebespärchen beobachtete den betrunkenen Tanzenden, kicherte und tuschelte.
Mein Gegenüber schaute den Tanzenden kurz an und dann zu mir.
Er hat wohl ein wenig zuviel erwischt, sagte ich und grinste.
Eine dumme Bemerkung. Aber es war schon gesagt.
Leben Sie in München?
Nein, in Salzburg. Ich werde abgeholt.
Ich war vorsichtig.
Dann wieder Schweigen. Wir schauten aus dem Fenster. Die dunkle Landschaft flog vorüber.
Sind Sie Studentin?
Ich nickte.
Ich bin auf der Pädak. Pädagogische Akademie.
Ja, ich weiß, sagte er.
Deutsch oder Englisch?
Englisch.
Warten Sie, und Geschichte.
Ich schüttelte den Kopf.
Kunst?
Ja, bildnerische Erziehung.
Es schien, als wäre er verärgert, es nicht gleich erraten zu haben.
Wieso haben Sie das gewusst?
Er zuckte mit den Schultern.
Warum wussten Sie das?
Er zuckte nochmals.
Was machen Sie?
Ich bin ein Spieler.
Ein Spieler?
Ein Puppenspieler?
Er lachte.
Nein, ich spiele in Casinos. Roulette.
Davon können Sie leben?
Ich war verwirrt.
Er nickte.
Ja, ich reise von Casino zu Casino. Nun fahr ich in die Schweiz.Ich kann nie zu lange an einem Ort bleiben. In Deutschland kennen sie mich schon.
Das war er längste Satz, den er bisher gesagt hatte.
Er griff in seinen Hosensack und holte ein Bündel Tausend-Schilling-Scheine heraus.
Es war ein dickes Bündel.
Sind Sie gut? Gewinnen Sie oft?
Er griff in seine zweite Hosentasche und ein weiteres Bündel Tausender kam zum Vorschein.
Ich habe ein System erfunden.
Ich kann mit achtzig Prozent Wahrscheinlichkeit voraussagen, auf welche Zahl die Kugel fällt.
Das Problem ist, dass es nicht genügend Casinos gibt.
Und dass mich schon alle kennen in Deutschland.
Gibt es in Salzburg ein Casino?
Ja, sagte ich.
Im Schloss Klessheim.
Und in Bad Gastein gibt es auch eines.
Wo leben Sie?
In Grünwald.
In Grünwald bei München?
Da, wo die Prominenz wohnt?
Ja, genau da.
Mit Ihrer Frau?
Nein, mit meiner Mutter.
Ich sah, dass er mir gern antwortete, also fragte ich weiter.
Was arbeitet Ihre Mutter?
Nichts.
Er merkte, dass ich weiter fragen wollte und erklärte: Wir kommen mit dem, was ich verdiene, gut aus.
Mit dem Geld, das Sie beim Roulette gewinnen?
Ja, wir führen ein angenehmes Leben.
Der Zug fuhr in Salzburg ein.
Ich stieg aus.
Viel Glück mit Ihrem Studium.
Ich wünschte ihm Glück bei seinem Roulette-Spiel.
Es gibt kein Glück im Roulette.
Er lächelte und zwinkerte mir zu.

2 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

Das ist ja beängstigend! Ich hoffe, das haben Sie nicht wirklich so --oder so ähnlich-- erlebt?

Aber ein schöner Gedanke. Ich sehe sich dahinter bereits ein dunkelgraue Geschichte aufbauschen.

amadea's world hat gesagt…

Ja, das war so ähnlich. Auch dass er ein System erfunden hatte. Ob die Erfolgsquote 80% war, das weiß ich nicht.
Aber es hat mich damals lange Zeit beschäftigt. Ziemlich.
Und ich denke immer wieder an diese Begegnung.