Mittwoch, August 30, 2006

der professor

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Gestern, als wir unterwegs waren, sah ich ihn wieder nach vielen Jahren. Auf der Straße, im Vorübergehen.
Er kann es nicht gewesen sein. Aber er sah so aus wie er.
Mein Professor.
Er war berühmt. Er unterrichtete zeitweise am Mozarteum.
Er war berühmt aber man sah es ihm nicht an.
Er war berühmt in Salzburg. Vielleicht ist das nicht sehr berühmt.
Er hatte immer dieselbe moosgrüne Jacke an. Wenn es regnete, hatte er die Kapuze übergestülpt und kam herein ins Klassenzimmer. Klatschnass. Schüttelte die Jacke aus. Setzte sich hin.
Bei Regen trug er Gummistiefel. Die auch grün waren.
Er hatte längeres Haar mit grauen Schläfen. Er war stets schlecht rasiert.
Er sah aus wie eine Mischung aus russischem Märchenerzähler und kanadischem Holzfäller.
Meistens war er abwesend. Er schien mit seinen Gedanken ganz woanders zu sein. Aber manchmal blitzten seine blauen Augen auf. Er hatte diese Leidenschaft in den Augen, wenn er sich begeisterte.
Und dann redete er und es war still im Raum. Alle hörten zu. Und er erzählte und philosophierte und kam von einem Thema ins andere.
Ich war verliebt in ihn.
Es war nicht die Art von Verliebtheit der Schülerin in ihren Professor. Ich träumte nicht von ihm. Ich zeichnete keine Herzen in mein Schulheft. Ich schrieb nicht seinen Namen.
Ich war auch nicht verliebt in sein Äußeres, seine Erscheinung oder seinen Charme. Ich war verliebt in seine Worte. In das, was er sagte, und wie er es sagte.
Ich verliebte mich in die Art wie er meine Arbeiten ansah.
Er hörte genau hin wenn ich ihm erklärte was ich gemacht hatte und warum gerade so und nicht anders.
Er war ruhig, nachdenklich und schien alles, was ich ihm erzählte aufzusaugen.
Wie ein Schwamm.
Und wenn ich fertig war mit meinen Erklärungen begann er zu reden.
Er stellte Fragen. Ganz ungewöhnliche Fragen. Und diese Fragen zwangen dich dazu, nachzudenken, in dein Innerstes zu gehen, in die Tiefe.
Ich hatte niemals eine prompte Antwort parat.
Ich war eingeschüchtert durch seine Fragen, begann zu zittern, zuckte mit den Schultern. Bat um Bedenkzeit.
Und dann, ganz unvermittelt, legte er seine große Hand auf deine Zeichnung, strich darüber – weich, wischend. Dieses Geräusch dieser wischenden Hand auf dem Blatt habe ich noch im Ohr.
Dann war er kurz still.
Und auf einmal hob er die Arme hoch wie ein Prediger. Dann presste er eine Hand auf deine Arbeit, holte mit der anderen aus, fuhr sich durchs Haar, streckte die Finger beider Hände weit auseinander, und ließ sie dann wieder auf deine Arbeit gleiten. Und wieder dieses Wischen.
Dabei schaute er dich an. Er schaute durch dich durch. Und du musstest den Blick senken. Aber er ließ das nicht zu. Er schaute dich so lange an, bis du ihm wieder in die Augen blicktest. Und die gestikulierende Hand war wieder da, und strich wiederum wischend über das Blatt. Dann ruhte sie für einige Zeit.
Stille.
Er sagte nichts mehr. Sah dich an. Plötzlich streckte er sich wieder. Der Arm flog an dir vorbei. Dann zurück, hinunter auf das Blatt, wischend, sanft kreisend. Betastend. Und dann sprach er über die Energie des Bildes, die Kraft, den harten Strich, die Weichheit.
Er formte mit seinen Händen eine imaginäre Tonfigur.
Und da waren nur seine Arme, Hände, seine Stimme. Sonst war da nichts. Alles um dich war vergessen. Der Raum, die anderen Studenten, die Temperatur. Du selbst warst auch vergessen.
Da waren nur mehr diese streichenden, wischenden Hände und die Stimme.
Er, du und deine Arbeit.

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