Dienstag, März 07, 2006

shoe-bi-du

Unlängst blieb ich vor dem Schuhgeschäft, in dem ich selten einkaufe, weil ich mir die Schuhe nicht leisten kann, stehen. Ich bleibe oft da stehen, um zu sehen, was es Neues gibt.
Ich kaufe nur in Zeiten des Ausverkaufs dort ein. Wenn ich ein besonderes Schnäppchen entdecke.
Auf einmal sah ich sie.
Ich sah sie nicht nur.
Sie sprangen mir ins Auge.
Sie machten mir Herzklopfen und verursachten ein flaues Gefühl in meinem Magen.
Aber es waren keine gewöhnlichen Schuhe. Es waren DIE Schuhe.
Ein Gedicht.
Eine Augenweide.
Königlich. So wie der Preis. 189 Euro.
Herabgesetzt auf 99 Euro! Ab Freitag!
Ich musste sie haben.
Ich habe schon manchmal dieses oder jenes erstanden – heruntergesetzt zum halben Preis.
Aber dieses Paar hier, war das absolute Muss. Und es wunderte mich, dass noch keine der Damen des Ortes, die am Beginn der jeweiligen Saison ihren Schuhschrank ausmisten, um Platz für Neues zu schaffen, dieses Paar entdeckt haben.
Eigentlich brauche ich ja keine Schuhe – fiel mir ein. Diesen Gedanken sponn ich nicht weiter.
Es ist an der Zeit, sagte ich mir, meinen Schuhschrank auszumisten, um einige Exemplare, die sich im Laufe der Jahre angesammelt haben, der Sammlung von Pater August, der in der Nachbargemeinde wohnt, für die Dritte Welt, zuzuführen. Sicher bin ich mir nicht, ob das ein wirklich gutes Werk und Fair Trade ist. Ich sah vor einiger Zeit eine Reportage über das Unheil, das Altkleidersammlung für die Dritte Welt anrichten.
Aber den Gedanken verdrängte ich.
Ich könnte sie ja verschenken. An jemanden, der sie will.
Oder so.
Die Verkäuferin informierte mich, dass ich am Freitag um halb neun im Geschäft sein sollte. Wenn sie bis dahin nicht verkauft wären, dann könnte ich sie zum halben Preis haben.
Ich plante meine Aktion genauestens:
Gegenüber des Schuhgeschäfts befindet sich ein kleines Cafe, in dem ich bis zum Öffnen des Ladens alles genau beobachte, um dann, eine Viertelstunde vor dem Aufsperren, vor der Tür zu warten und als erste das Geschäft betreten, zielstrebig auf das Produkt meiner Begierde zusteuern und es an mich nehmen werde. Eine Sache von maximal drei Minuten.
Ich werde bequeme Schuhe anziehen, sodass ich den Weg zwischen Cafe und Schuhgeschäft möglichst schnell bewältigen kann.
Ein wunderbarer Plan. Es kann nichts schief gehen.
Mit diesen Gedanken im Kopf machte ich mich auf den Heimweg.
Die Nacht vor dem großen Ereignis schlief ich schlecht.
Vermutlich war es der Vollmond, der mich jede Stunde aufwachen und die Minuten bis zum Morgen zählen ließ.
Ich frühstückte ausgiebig, steckte schnell die Tageszeitung in meine Handtasche, versuchte mich zu beruhigen, was mir nicht gut gelang, weil mein Adrenalinspiegel angestiegen war und machte mich gut gelaunt und siegessicher auf den Weg.
Schon um halb acht stand ich vor dem Kaffeehaus, das noch geschlossen war. Endlich, um dreiviertel acht durfte ich hinein.
Vor dem Schuhgeschäft war es ruhig. Nichts tat sich. Ich bestelle einen Kaffee und widmete mich der Zeitung.
Was las ich da?
Das war eindeutig ein Zeichen.
Der Artikel trug die Überschrift: Frauen und Schuhe

Schuhe zu tragen war einst ein Vorrecht der Götter und ihrer Lieblinge auf Erden. Im "reichen Westen" haben wir uns also von einem Barfußvolk zu einer Gesellschaft entwickelt, die sogar einen eigenen Stiefel zur Mondbegehung erfindet. Manche Kultursoziologen sehen im Schuh deshalb eine Metapher der Zivilisation. Manche Menschen - und darunter nicht nur die Frauen - sehen im Schuh ihr Glück, ihre Persönlichkeit, für andere wiederum ist der Schuh nur Alltagsgegenstand.
Frauen und Schuhe, eine tiefe Liebe, die kein Mann je verstehen wird. Schon gar nicht, wenn ER uns beim Schuhkauf begleiten muss und einfach nicht begreift, dass wir erst alle in unserer Größe verfügbaren Schuhe anprobieren müssen, bevor wir an eine Entscheidung überhaupt denken können. Männer stellen sich (und den Frauen) zu diesem Thema viele Fragen: Woher kommt es, dass wir jeden Kerl stehen lassen würden, wenn wir glauben, das perfekte Paar Schuhe gefunden zu haben? Wieso geben wir die Hälfte (oder mehr) unseres Monatsgehalts für zwölf Zentimeter hohe aquamarin-blaue Riemchen-Stilettos aus, abgesehen davon, dass es November ist und wir ein praktisch identisches Paar in türkis-blau besitzen? Weshalb fangen wir an zu schwitzen und zu stammeln, wenn wir bei ebay unter "Manolo Blahnik" oder "Jimmy Choo" Angebote finden, für die noch niemand geboten hat? Warum setzen wir uns völlig freiwillig Gesundheitsrisiken wie einer verkrümmten Wirbelsäule, chronischen Rückenschmerzen und verformten Zehen aus?

Weil wir Frauen sind und Schuhe unseren Ansprüchen genügen, uns unseren Träumen und Wünschen Schritt für Schritt näher bringen. Es gibt sogar ein Beispiel in der Weltliteratur, das sich mit der tiefen Beziehung von Frauen zu ihrem Schuhwerk beschäftigt: "Aschenputtel". Nie wurde die Schuh-Leidenschaft treffender dargestellt. Wie wunderschön, wie perfekt müssen die gläsernen Tanzschuhe gewesen sein (kein Wunder: Von einer Fee maßgefertigt), dass sich die bösen Stiefschwestern Zehen und Fersen abgeschnitten haben, um in die zierliche Größe 37 von Aschenputtel zu passen. Und wie sehr muss Cinderella sie geliebt haben, dass sie den erstbesten Prinzen, der ihr den für immer verloren geglaubten Schuh zurückbrachte, sofort geheiratet hat? Eines der wenigen Märchen, bei dem auch erwachsene Frauen noch immer verzückt seufzen.

Ich vertiefte mich in den Artikel, als ich plötzlich hoch schreckte. Es war fünf vor halb neun!
Während ich schnell das Geld für den Kaffee auf den Tisch legte, meine Tasche packte, sah ich aus dem Augenwinkel, dass die Tür des Schuhgeschäfts offen war, und zwei Verkäuferinnen gerade die Stellage mit den Sonderangeboten vor die Tür trugen.
Um Punkt halb neun war ich im Geschäft.
Die Schuhe waren weg!
Unglaublich.
Ich war wie in Panik.
Wer hat sie gekauft, fragte ich die Angestellte?
Diese Dame da. Sie zeigte auf eine ältere Frau mit hoch toupiertem Vogelnest und Hund an der Leine, der fast so aussah wie sie.
Sie stand vor dem Regal mit den Handtaschen, hatte einen meiner Schuhe in der Hand und suchte augenscheinlich einen passende Tasche.
Entschuldigen Sie, stammelte ich. Welche Schuhgröße haben Sie?
Vierzig, warum?
Sie blickte an mir hinab und ihr Blick blieb an meinen ausgelatschten Schuhen hängen.
Dann können Ihnen doch diese Schuhe gar nicht passen. Sie sind Größe 38.
Sie sah mich entgeistert an.
Der Hund an der Leine begann zu bellen.
Ich redete weiter.
Erzählte ihr, dass ich schon um halb acht im Kaffeehaus gewesen war.
Nur wegen der Schuhe.Und dass ich sie unbedingt haben müsse.
Ihr Blick wurde mitleidig. Sie grinste etwas. Sie sei bereits um sieben Uhr im Café nebenan gesessen.
Sieben Uhr! Um die Zeit ist es noch dunkel!
Und hatte sie sich einen Tag frei genommen.
Außerdem lebe sie gar nicht hier. Sondern in der Stadt.
Sie war also wegen dieser Schuhe am Vorabend hier her in die Provinz gefahren, hatte sich ein Zimmer genommen und einen Urlaubstag. Unfassbar!

Ich will fair sein.
Sie hat mich geschlagen.
Ich muss noch viel lernen. Ich muss noch viele Opfer bringen.
Die Vogelnestfrau hat mich was gelehrt. Was es wirklich bedeutet, etwas zu wollen.
Alles dafür zu geben, sich mit all dem Willen und der Stärke die du hast, für etwas einzusetzen. Das Ziel klar vor Augen zu haben.
Also wird Pater August die Manolos vom vorletzten Jahr nicht in seine Sammlung nehmen können. Und ich werde wohl noch einige Zeit so wie jeden Tag sehnsüchtig in die Auslage des Schuhgeschäftes schauen, auf ein Schnäppchen warten und für das nächste Mal einen besseren Plan aushecken.
Ich werde heute gleich damit beginnen.

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