Donnerstag, März 09, 2006

jene worte

Sie sprachen selten miteinander.
Aber dann gab es diesen wunderbaren Abend, den Vater und Sohn gemeinsam verbrachten.
Und die Wochen danach, bevor der Vater starb, waren ihre schönste Zeit.
Es begann damit, dass der Vater in der Zeitung las, dass der berühmte Schauspieler in der Provinz eine Vorstellung geben würde. Nur für eine Nacht.
Da er wusste, dass sein Sohn gerne ins Theater ging. entschied er sich, Karten zu kaufen.
Nun, was tust du, wenn du in einem Kuhdorf lebst, keine Karten hast und du weißt, dass sie innerhalb kürzester Zeit weg sein werden.
Du rufst bei im Theater an und erklärst der freundlichen Dame deine Situation.
Die Dame am Telefon fand es rührend, dass ein Vater mit seinem Sohn unbedingt diese Vorstellung sehen wollte und reservierte sogleich zwei Karten.
Der Vater hatte vor seiner Pensionierung vierzig Jahre lang als Busfahrer gearbeitet und er liebte die Straße.
Wenn du je mit ihm mitgefahren bist, weißt du, dass er so viele Geschichten über Menschen und Orte wusste, wie die Straße Kurven und Windungen hat, und dass er es genoss, sie zu erzählen.
In jener Nacht, als Vater und Sohn in das Dorf fuhren, das einige Stunden von dem ihrigen entfernt war, war das nicht anders.
Der Vater erzählte von den Zeiten, als er mit seinem Bus vor dem alten Bauernhaus hielt und eine Familie, die nach Amerika auswandern wollte, mitnahm.
Er erzählte, wie die Leute ihr Gepäck auf das dach des Busses packten und wie der Kinderwagen verloren ging, weil er an einem überhängenden Ast hängen geblieben war.
Er erzählte, wie einmal ein junger Mann sich beschwerte, dass sein Fahrrad während der Fahrt vom Dach gefallen war.
Als der Vater dann den jungen Mann besuchte, kam er ihm mit einem alten, klapprigen Rad entgegen.
Der junge Mann brachte mit quietschender Bremse sein Fahrrad zum Stehen und entschuldigte sich mit hochrotem Gesicht.
Die Reise war kurzweilig und im Flug vergangen durch all die Geschichten des Vaters.
Das Dorf war gemütlich und heimelig, als Vater und Sohn ausstiegen. Es war schon dunkel.
Alles war unterwegs in Richtung Dorfgasthaus, wo die Vorstellung stattfinden sollte.
In jener Nacht redeten alle nur von diesem großen Schauspiel.
In der Pause gab es belegte Brote und Wein, bereitgestellt von den Frauen des Ortes. Im Preis inbegriffen.
Natürlich herrschte hier nicht dieselbe Atmosphäre wie in der Großstadt. Keine Herren in Smoking und keine Damen im schicken Kostüm. Kein Champagner, keine Lachshäppchen.
Aber was es gab war das Gefühl der Zusammengehörigkeit.
Nicht umsonst hatte der Burgschauspieler dieses Dorf gewählt, das hoch oben am Berg lag, und wo er unbemerkt von den Paparazzi ganz in Ruhe und ungestört seinen Urlaub verbringen konnte.
Die Leute des Dorfes liebten die Aufführung und waren ein höchst aufmerksames Publikum.
Obwohl der Saal bis zum letzten Platz ausverkauft war und jung und alt versammelt waren, war es ganz still während der Aufführung und man hätte eine Nadel fallen hören.
Als die Vorstellung zu Ende war und tosender Applaus einsetzte, applaudierte auch der Burgschauspieler, verbeugte sich unzählige Male, verschwand hinter dem Vorhang, um danach nochmals auf die Bühne zu laufen und sich zu verbeugen. Man sah ihm seine Freude an.
Danach versammelten sich alle, Künstler und Dorfbewohner, im Gasthaus nebenan.
Und wiederum war dieses Gefühl der Zusammengehörigkeit da und Vater und Sohn hatten das Gefühl, sie kennten einander Jahre. Jeder redete mit jedem, es wurde getrunken und gescherzt.
Die Geschichten des Vaters fanden bei allen großen Anklang. Und der Sohn sah seinen Vater wie er ihn nie zuvor gesehen hatte.
Obwohl es schon weit nach Mitternacht war, schien es, als wollten beide diese schöne Zeit nicht enden lassen.
Aber sie hatten noch eine lange Reise vor sich, und schließlich verabschiedeten sie sich von den neu gewonnenen Freunden.
Sie verließen das Dorf und fuhren hinaus in die Dunkelheit.
Die Rückreise war eigenartig ruhig.
Es war, als sei alles gesagt worden.
Der Sohn dachte darüber nach, warum der Vater unbedingt mit ihm diesen Abend hatte verbringen wollen.
War es die letzte Gelegenheit, ihm die nie erzählten Geschichten zu erzählen?
Ihm Lebewohl zu sagen?
In der Stille erkannte der Sohn den wirklichen Sinn des Abends.
Nicht alles war gesagt worden.
Aber es war nicht notwendig, alles zu sagen.
Die Stille und das einvernehmliche Schweigen waren vollkommen.
Es war ihr gemeinsames Schweigen.
Es gehörte nur ihnen beiden.
Ein Schweigen von verwandten Seelen.
Im Schweigen vernahmen sie jene Worte, die Vater und Sohn einander nie sagen.
Und beide hörten nur zu.

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