Montag, März 20, 2006

fortschritt

Du kommst in ein Hotel und bekommst etwas, das aussieht wie eine Kreditkarte. Die freundliche Dame an der Rezeption erklärt dir: Sie müssen Karte in den Schlitz an der Hoteltür stecken und warten, bis das grüne Licht aufleuchtet. Du steckst die Karte hinein, wartest, nimmst die Karte wieder heraus, steckst sie nochmals rein, wartest wiederum auf das grüne Licht und versuchst, die Tür zu öffnen.
Doch sie öffnet sich nicht. Du nimmst die Karte wieder heraus, steckst sie rein, wartest auf das Licht, aber es tut sich nichts. Du vergewisserst dich, ob es dein Zimmer ist, steckst die Karte nun ganz langsam in den Schlitz, wartest auf das grüne Licht und drückst fest gegen die Tür. Aber nichts rührt sich. Die gehst zurück zur freundlichen Dame an der Rezeption, bekommst eine andere Karte und die ganze Sache beginnt von vorne.
Nach Jahren erfand ein gewiefter Mann den Hotelzimmerschlüssel.
Wunderbar in der Form, einfach zu handhaben. Mit einer Handbewegung steckst du den Schlüssel ins Schlüsselloch, drehst einmal rum und die Tür öffnet sich wie von Zauberhand.
Es dauertnicht lange, bis alle führenden Hotels diese neue technologie verwenden. Noch vor nicht allzu langer Zeit war es sehr schwierig war, den täglichen Einkauf zu erledigen.
Man setzte sich in ein Auto, fuhr mehrere Kilometer zu einem Gebäude, das sich Supermarkt nannte, parkte gemeinsam mit anderen tausenden Kunden in riesigen, unterirdischen Parkhäusern, stellte sein Auto auf einem Platz ab mit der Nummer 4358 D, notierte sich die Nummer, nahm sich einen Einkaufswagen und irrte stundenlang in einem riesigen Gebäude herum, zwischen tausenden Produkten, aufgestapelt nach einem nicht nachzuvollziehendem System. Weitund breit niemand, den man fragen konnte, wo sich die frische Hefe befindet oder die handgemachten Zahnstocher.
Man war ganz sich selbst überlassen, und wenn man es versäumt hatte, sich die Nummer seines Parkplatzes zu notieren, musste man warten, bis der Supermarkt seine Tore schloss und die tausenden Kunden die Parkhalle verließen, um dann endlich sein Auto zu finden, das einsam auf Platz nummer 4358 D stand.
Irgendwann hatte irgendjemand die Idee, ein kleines Geschäft zu eröffnen, einen Kreißler, im Zentrum der Stadt oder des Dorfes, in dem eine freundliche Dame oder ein gutgelaunter Herr hinter dem Tresen stand, dich nach deinen Wünschen fragte, dir alles fein säuberlich einpackte und in deinen Korb legte und du mit einem Lächeln auf den Lippen das Geschäft verließt und beschwingt nach Hause gingst.
Fast niemand erinnert sich heute daran, wie schwierig es noch vor einigen jahren war, etwas aufzuschreiben.
Man musste eine Maschine, genannt Computer, einschalten. Diese funktionierte nur mit verschiedenem Zubehör wie Drucker, Diskette, CD-Roms, Maus.
Die Bedienungsanleitung zu diesem Gerät war mehrere hundert Seiten lang und für einen durschnittlich begabten Menschen nicht durchschaubar, auch wenn er sich redlich bemühte.
Es war nur verständlich, dass die Erfindung von Bleistift und Papier die Welt im Sturm eroberten. Bedienungsfreundlich, billig, einfach zu transportieren, löste der Bleistift in weniger als einem Jahr den Computer ab.
Als nach einiger Zeit des Forschens der Bleistiftspitzer erfunden wurde, gab es für diese neue Technologie kein Aufhalten mehr.
Man sollte auch nicht vergessen, dass vor der Erfindung des Buches die westliche Zivilisation angewiesen war auf das Internet. Für eine einfache Information, wie das Geburtsdatum Napoleons, zum Beispiel, musstest du Punkt, at, com, www eintippen, oft mehrmals, weil du vielleicht den Schrägstrich auf die falsche Seite tipptest oder ein w vergaßest. Dann erschienen am Bildschirm irgendwelche seiten pornographischen Inhalts oder die Aufforderung zur Teilnahme an Gewinnspielen, die du immer wieder wegklicken musstest, bis endlich, nach langer Zeit, die am Bildschirm erschien.
Diese Zeiten sind endlich vorbei.
Heutzutage nimmst du ein Llexikon, schlägst nach unter N für Napoleon und innerhalb von Sekunden kennst du sein Geburtsdatum.
Niemals sollten wir vergessen wie primitiv früher alles war. Die Technologie steckte noch in den Kinderschuhen. In Zügen konnte man die Fenster nicht öffnen und die Passagiere mussten die in sauerstoffarmen Waggons reisen.
Endlich, nach Jahren entwickelte ein kluger Mann die Kurbel und das Reisen in Zug und Auto wurde zum Vergnügen.
Das selbe mit dem Fahrrad.
Für uns ist es ganz normal, dass man sich auf ein Fahrrad setzt, um von einem Ort zum anderen zu gelangen. Damals gab es nur sogenannte „Heimtrainer-Fahrräder“, die fest am Boden verankert waren, sehr oft in Kellerräumen standen oder in einem „Fitness-Center“ - ein Gebäude ohne Fenster – wo man mit anderen Leidensgenossen wie eine Ratte in einem Laufrad schwitzend sich abmühte, ohne sich einen Meter vorwärts zu bewegen.
Auch im Bereich der Nahrungsaufnahme gab es entscheidende Verbesserungen. Noch vor nicht allzu langer Zeit musste man sich, war man hungrig, in laute Gemeinschaftszentren, die man Restaurants nannte, begeben, sich an einen Tisch mit vollkommen fremden Personen setzen, und für das Essen, das man vorgesetzt bekam, dreimal soviel bezahlen wie heutzutage.
Irgendwann kam jemand auf die Idee, wie einfach es wäre, zu Hause zu kochen.
Diese Idee setzte sich durch. Innerhalb kürzester Zeit konnten Leute das essen, was sie wollten, wann immer sie wollten - in gemütlicher Atmosphäre, im Kreise der Familie und kostengünstig.
Im Bereich der Kunst gab es ebenfalls enorme Verbesserungen. Jahrelang mussten Künstler mit Objekten des täglichen Gebrauchs arbeiten, wie zum beispiel toten Tieren oder Steinen. Je komplizierter das Tier geschlachtet wurde, je ungewöhnlicher ein Stein auf den anderen gesetzt wurde, desto erfolgreicher war der Künstler. Damals spielten Ästhetik und und Schönheit keine Rolle.
Wie sehr änderte sich alles durch die Einführung von Farbe und Leinwand. Mit einem Mal konnte der Künstler sich selbst einbringen in seine Arbeit, sich emotionell und künstlerisch verwirklichen.
Es wird immer Menschen geben, die den neuen entwicklungen intellektuell nicht folgen können und nach wie vor den alten Zeiten nachtrauern. Wie wäre es sonst möglich, dass ein Besucher einer Ausstellung beim Anblick eines wunderbar naturalistisch gemalten Tieres kopfschüttelnd vor sich hinsagt: „Das ist nicht Kunst – der Stier ist nicht echt“.

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