Sonntag, März 26, 2006

doch ganz anders

Da saß ich nun. Bei einem Cappuccino und alles war noch wie damals. Ich war unbewusst hierher gefahren, an diese Autobahnraststätte. Ich war müde gewesen nach der langen Fahrt. Es war viel Verkehr gewesen, die Straßenverhältnisse teilweise schlecht, einige Baustellen. Obwohl es schon spät war, und ich wusste, dass ich sicherlich nicht gut schlafen würde nach einem Kaffee um diese Zeit, bog ich ab als ich das Schild sah.
Eine gemütliche Raststätte, das Interieur im Sixties-Stil gehalten, mit Neonreklame, altem Auto und Elvis- Motiven. Am Eingang Marylin in typischer Pose.
Als ich an der Bar saß und an meinem Kaffee nippte, kamen die Gedanken. Wie es mir ergangen war, damals vor fast vor zwei Jahren, als ich ihn verlassen und mitten in der Nacht hastig meinen Koffer gepackt hatte, mich ins Auto setzte und wegfuhr. Mit Tränen in den Augen.
In dieser Raststätte war ich gewesen, in den frühen Morgenstuden, neben mir ein Fernfahrer, der mich ständig ansah und vor dem ich meine Tränen, die mir über die Wangen liefen, zu verbergen versuchte.
Vor mir in der Glasvitrine ein Stück Gebäck mit rosa Zuckerguss und weißem Streusel.
Genau wie damals. Fast ein Deja-Vu Erlebnis.
Was mir damals durch den Kopf ging, wusste ich nicht mehr. Nur an dieses Gefühl, diese Mischung aus Traurigkeit und Erleichterung erinnerte ich mich.
Ein Jahr warn wir beisammen gewesen.
Es war eine Wochenendbeziehung gewesen. Manchmal fuhr ich mit dem Auto zu ihm, meistens jedoch mit dem Zug. Jeden Freitag nachmittag dreieinhalb Stunden.
Jedes Mal Aufregung und Ungeduld, wenn er am Bahnsteig stand um mich abzuholen. Zuvor dieses Herzklopfen, der wiederholte Blick in den Spiegel.
Ich sehe ihn vor mir stehen am schneebedeckten Bahnsteig, groß und hager mit lachendem Gesicht.
Ich flog ihm jedes Mal in die Arme, er nahm mir den Koffer ab und wir gingen Arm in Arm zu seinem Auto.
Danach der gemütliche Abend im kleinen, heimeligen Restaurant. So viel gab es immer zu erzählen nach einer Woche des Getrenntseins.
Er tat mir so gut nach Scheidung und den schlimmen Jahren der Einsamkeit in meiner Ehe.
Wir lasen einander Gedichte vor, wir malten gemeinsam Bilder.
Er erzählte mir von seinen Expeditionen im Himalaya, von seinem schweren Bergunfall, vom Lawinenunglück, bei dem seine Mutter im Haus verschüttet wurde.
Ich schrieb Geschichten für ihn, ich fotografierte ihn. Für ihn war das etwas Neues, Ungewohntes.
Ich weiß nicht woran es lag, dass es auf einmal nicht mehr passte. Wir sprachen dieselbe Sprache, wir lachten über dieselben Dinge.
Es war vermutlich zu früh. Für uns beide.
Er war überfordert mit unserer Beziehung, überfordert damit, dass ich nur am Wochenende bei ihm war.
Und ich fühlte mich irgendwie schuldig, dass es ihm nicht gut ging wenn ich nicht da war.
Er rief jeden Tag an und sagte mir, wie einsam es wäre ohne mich.
Wie kalt im Haus, wie ruhig. Und ich fühlte mich nicht gut, wenn er das sagte.
Und dass er es nicht mehr aushielt in dieser Enge des Tales inmitten der Berge.. Und dass er zuviel Arbeit habe in seinem Job und für alles verantwortlich sei.
Und ich sagte ihm jedes Mal er solle nicht jammern sondern etwas verändern. Sein Haus, das in der Toplage des Ortes viel einbringen würde, verkaufen, seine Selbstständigkeit aufgeben und in der Stadt sich anstellen lassen.
Ich hätte keine Ahnung, wovon ich rede, meinte er. Ich stelle mir das alles so einfach vor. Er habe sich sein Leben anders vorgestellt, er habe nicht damit gerechnet, dass die die Familie auseinander brechen würde, dass er sein Kind nicht mehr jeden Tag sehen würde.
Ich konnte das Gejammer nicht mehr anhören.
Entweder Dinge akzeptieren wie sie sind oder sie verändern.
Dazwischen gibt es nichts.
Manchmal, an einem Wochenende fuhren wir Richtung Süden.
Dann war er ganz anders. Unbeschwert, witzig, entspannt.
Wir hätten eine Chance gehabt.
Irgendwo anders.
Nicht in diesem Bergdorf.
In einem neuen Umfeld, in einer anderen Umgebung. Nicht in dem dunklen Haus inmitten der Berge, in dem er mit Frau und Kind gelebt hatte.
Also packte ich damals meinen Koffer und verließ ihn.
Und fuhr durch die Nacht, weinend, aufgewühlt. Und machte in dieser Raststätte halt um Kaffee zu trinken.
Da saß ich nun. Bei einem Cappucchino und alles war nun doch ganz anders.

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