In diesem einen Bahnhof gibt es noch einen Warteraum, von denen es früher, als ich ein Kind war, unzählige gab.
Die Wände lindgrün oder weiß gestrichen, bis zur Hälfte braun getäfelt, die großen Tische aus Resopal, Sitzbänke und Sessel aus Holz.
Der Geruch - eine Mischung aus Ruß und Rauch.
Ich lebte damals bei meiner Großmutter und nur am Wochenende fuhr ich zu meinen Eltern, die kurz zuvor umgezogen waren, weil es in jenem Ort eine besser bezahlte Arbeit gab. Ich hatte nicht mitkommen dürfen. Es war nicht üblich, mitten im Jahr die Schule zu wechseln.
Im Winter war es kalt am Bahnsteig. Zugig und windig. Die Kälte drang durch bis auf meine Haut. Die Züge hatten oft Verspätung und meine Großmutter schickte mich immer zu früh zum Bahnhof. In den Warteraum ging ich erst, als ich meine Finger und Zehen nicht mehr spürte.
Am liebsten war es mir, wenn er leer war. Doch das war nicht oft der Fall. Meistens saßen zwei oder drei Personen da. Eine ältliche Frau mit Kopftuch und grauem Lodenmantel, die Einkaufstasche schwer beladen daneben auf der Bank.
Mit leerem Blick vor sich hinstarrend. Manchmal blickte sie auf und sah mich vorwurfsvoll an. Ich sah dann schnell weg.
Oft saß ein Betrunkener da.
Mit Rucksack und einer Schnaps- oder Bierflasche.
Ihn musterte ich verstohlen.
Er redete vor sich hin. Er nahm nichts und niemanden wahr. Dann und wann kramte er in seinem Rucksack und holte allerlei Sachen hervor. Ein großes, zerknülltes Stofftaschentuch, mit dem er sich das Gesicht abwischte, ein Stück Wurst eingewickelt in Wachspapier, Brot in einem Plastiksack.
Dann begann er zu essen und ich beobachtete ihn.
Vor kurzem war ich in diesem Warteraum und die Eindrücke und Erinnerungen an die Zeit, die ich hier verwartet hatte, kamen zurück.
Es war eine vollkommen unnütze Zeit.
Es war einfach nur Warten als Handlung. So wie die zwei Landstreicher in "Warten auf Godot".
Eigentlich warten wir unser ganzes Leben.
Wir warten und erwarten.
Wir warten auf einen Brief, auf eine gute Idee, auf das neue Jahr.
Wir warten im Wartezimmer des Arztes.
Als Kind warteten wir ungeduldig freudig auf das Christkind. Wir warten auf den Geliebten.
Wir warten, bis die Sonne aufgeht und es zu regnen aufhört. Wir warten auf den den Urlaub, das Wochenende, die Tageszeitung.
Wir warten auf den Tod.
Ich wartete fünf Tage, bis der Hausbesorger den Schnee von meinem Garagendach räumte.
Dieses Warten ärgerte mich weil es meinen Tagesablauf bestimmte und ständig in meinen Gedanken war.
Ich konnte mein Auto nicht vor der Garage stehen lassen. Die Schneelast konnte jeden Moment herunterklatschen. Dasselbe beim Raus- und Reinfahren. Hoffentlich nicht gerade jetzt.
Und die ganze Zeit der Gedanke– wann kommt er – wie lang muss ich noch warten – mehrere Anrufe bei der Hausverwaltung.
Jedes Mal wenn die Türglocke läutete, glaubte ich, nun sei er da.
Als ich heute von der Arbeit nach Hause kam, sah ich es.
Der Schnee war nicht mehr am Dach.
Er war vor der Garage.
Nun warte ich auf den Schneepflug, sodass ich mein Auto wieder in die hinein stellen kann.
Freitag, Jänner 20, 2006
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