Donnerstag, Dezember 25, 2008

lieselotte


Nun hörte ich vor kurzem irgendwo den Namen Lieselotte.
Lieselotte. Wie dieses Wort auf der Zunge zergeht, nicht wahr? Lieselotte ist der Inbegriff eines Mädchennamens.
Ich kannte auch eine Lieselotte. Vor vielen Jahren.
Ich kenne sie zwar noch immer, aber ich sehe sie sehr selten. Was gut ist.
Lieselotte ging mit mir in eine Klasse. Lieselotte war perfekt. Sie hatte langes, dunkles Haar, das zu einem Rossschwanz zusammen gebunden war, und der pendelte hin und her wenn sie ging. Lieselotte hatte einen wogenden Gang und ihr Hintern hatte diese besondere Form, von der mein Hintern meilenweit entfernt war. Klar, bei diesem dünnen Boanag’stell, das ich war. Vorn und hinten nix dran. Jedenfalls nicht mit dreizehn.
Lieselotte hatte überall was dran, vorne und hinten. Und was! Da wogte und schaukelte alles. Mir gefiel es, wie der Rossschwanz von Lieselotte im Takt mit dem Hinterteil tanzte.
Lieselotte lachte immer. Sie hatte kleine Mausezähne. Die waren zwar ganz hübsch anzusehen, aber das besondere an ihrem Lachen war die Lippen. Kennst du das, wenn sich beim Lachen der innere Teil der Oberlippe nach außen wölbt und als kleines Läppchen, eine Art Zusatzlippe, an der Oberseite der Zähne zu sehen ist? Man nennt sie Innere Mundlippen. Ja, so heißen die in der Fachsprache.
Lieselotte war gescheit. Und laut. Sie hatte immer was zu sagen. Sie war die Oberste der Klasse. Sie war immer toll gekleidet, sie hatte immer die beste Jause mit und versorgte die Buben der Klasse mit Essen, besonders den Hahn im Korb, der jedem Mädchen gefiel, auch mir. Aber er wusste das nicht. Ich hätte ihm das nie verraten. Lieselotte schon. Lieselotte machte kein Geheimnis aus ihrer Liebe. Stefan hieß er. Und Stefan wurde von Lieselotte, ihrem Rossschwanz und ihrem wogenden Hinterteil umschwärmt. Und er bekam all die Köstlichkeiten, die Lieselotte zur Jause mit hatte. Lieselotte hatte eine Freundin, die hieß Brigitte Bauer. Brigitte war das Gegenteil von Lieselotte. Blond und dünn. Und schüchtern. Rossschwanz hatte sie auch keinen, dafür aber eine Brille und vorstehende Zähne.
Brigitte war Lieselotte ganz ergeben. Hörig war sie ihr. Und Lieselotte genoss das. Brigitte war immer Lieselottes Meinung. Brigitte holte jeden Morgen Lieselotte zu Hause ab und trug ihre Schultasche zusätzlich zu ihrer eigenen. Und nach der Schule dasselbe. Man sah die beiden immer mitsammen. Aber sie waren keine Freundinnen, sie waren Herrin und Magd.
Mir tat Brigitte leid. Am liebsten hätte ich ihr die Meinung gesagt. Am liebsten hätte ich ihr gesagt: Brigitte, halt dich fern von Lieselotte. Die ist nichts für dich, die benutzt dich.
Doch das traute ich mich nicht. Das hätte nichts genützt, im Gegenteil. Die Brigitte hätte mich bei Lieselotte verratscht und hätte nie auf mich gehört, niemals! Lieselotte war blöd, sie hatte keine Freundinnen, alle hatten Angst vor ihr und wollten es sich mit ihr nicht verscherzen. Nett war Lieselotte nur zu den Buben, besonders zu Stefan. Zu den Mädchen war sie nicht nett. Das war mir nur recht. Weil wenn sie nett zu mir gewesen wäre, hätte ich auch nett sein müssen. Und das wollte ich auf keinen Fall. Ich ignorierte sie.
Nicht, weil sie mir egal war, nein im Gegenteil, sie beschäftigte mich sehr, ich ärgerte mich über sie. Sie war ein Problem für mich. Klar, war ich neidisch.
Zu jener Zeit war ich auf ziemlich viele Mädchen neidisch. Ich war auf all die Mädchen neidisch, die einen Busen hatten. Ich hatte keinen. Ich war auf all die Mädchen neidisch, die einen lockeren Umgang mit den Buben hatten. Ich war gehemmt und schüchtern. Ich war auf all die Mädchen neidisch, die schon geschmust hatten. Nicht, dass ich das mit vierzehn wollte, ich ekelte mich davor und konnte mir es gar nicht vorstellen, an einem fremden Mund herum zu lecken. Nicht mal an Stefans. Aber neidisch war ich trotzdem.
Und besonders neidisch war ich auf Lieselotte. Allein schon auf ihren Namen war ich neidisch. Wie gerne hätte ich Lieselotte geheißen. Oder wenigstens Gabriele. Oder Susanne. Amadea hieß ich. Wer heißt schon Amadea?
Die Jahre sind vergangen. Lieselotte ist Lehrerin. Schon lange.
Manchmal treffe ich sie. Den Rossschwanz gibt es nicht mehr. Er ist einem schwarz-roten Bubikopf gewichen. Das Hinterteil wogt immer noch. Mehr als je zuvor. Und diese inneren Mundlippen hat sie auch noch. Laut ist sie immer noch. Und blöd. Ich mag sie immer noch nicht.
Neidisch bin ich nimmer. Nicht mal auf ihren Namen.
Sie hatte bis vor kurzem einen Direktor. Einen, der Lieselotte bewunderte. Eíner, der ihr hörig war. Aber der ist in Pension gegangen. Kurz vor Weihnachten.
Und nun kam jemand neuer. Aber kein Direktor mehr. Nein, eine Direktorin. Aus Niederösterreich. Ist damals ausgewandert nach Baden, als sie heiratete. Und nun, da sie geschieden ist, kehrte sie wieder heim. Wieder zurück. Und kam an Lieselottes Schule.
Wie sie heißt? Na, Brigitte, Brigitte Bauer.
Ein bisserl tut sie mir schon leid, die Lieselotte.

2 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

Zwei Freundinnen von mir, es sind Schwestern, heißen Liese und Lotte. Das ist ein Spaß!

amadea's world hat gesagt…

Hihi, Eva. Witzig!