Wenn dich jemand um einen Gefallen bittet, dann gibt es zwei Antworten. Ja und nein.
Ganz einfach.
Aber nicht immer einfach. Oft sehr kompliziert.
Es gibt Leute, die dich um einen Gefallen bitten und automatisch annehmen, du sagst ja. Und wenn du dann nein sagst, sind sie beleidigt.
Ich ertappe mich immer wieder, dass mich jemand, mit dem ich gar nicht befreundet bin, fragt, ob ich dies oder jenes tun könnte. Und obwohl ich eigentlich nicht will und gar keine Notwendigkeit besteht, demjenigen einen Gefallen zu tun, tue ich es. Weil er eben ein Kollege von mir ist, oder verwandt oder weil er ja so nett ist oder so gut kochen kann oder sonst etwas.
Das nein fällt mir besonders schwer, wenn mich meine Eltern um etwas bitten.
Weil da ist dann immer dieses Schuldgefühl da.
Sie sind ja schon alt. Ich muss die gute Tochter sein, die sich kümmert um die Eltern.
Wer weiß, wie lang sie noch leben und ich bin nicht bei ihnen im Haus und ich besuche sie ohnehin nicht oft genug.
Vor einigen Wochen, als ich sie besuchte, sagte Mama, zwei Minuten, nachdem ich ihr Haus betreten hatte: „Amadea, hör mal. Übermorgen hat Onkel Kurt seinen Siebziger. Wir sind eingeladen. Kannst du nicht mit uns fahren?“
„Natürlich Mama, gern“, sagte ich.
„Wir fahren am Samstag früh, sind dann in vier Stunden dort und kommen am Sonntag wieder nach Hause. Wann warst du das letzte Mal bei Onkel Kurt und Tante Hedwig? Vor neun Jahren?“
Zehn Stunden Autofahrt mit Abholen und Zurückbringen der Eltern. Wie aufregend.
„Wann ist die Geburtstagsfeier?“ fragte ich.
„ Sie beginnt am Sonntag um 14 Uhr.“
Na toll. Samstag in aller Frühe los, die Eltern abholen. Das dauert eine Stunde. Dann vier Stunden Autofahrt. Dann Herumsitzen bei Onkel Kurt und Tante Hedwig. Dann nichts bis Sonntag um zwei. Und dann Kaffee und Kuchen mit anderen Verwandten und Nachbarn, die ich nicht kenne..
Am Abend dann großes Buffet mit allem drum und dran. Dann vier Stunden Heimfahrt. Meine Eltern nach Hause bringen.
Das heißt, Sonntag früh um drei Uhr in meiner Wohnung.
„Tante Hedwig freut sich so, wenn sie dich mal sieht. Deine Schwester kann auch mitfahren.“
„ Klar, Mama,“ sagte ich.“ Natürlich fahren wir.“
„Weißt eh, Amadea. Mit dem Zug. So kompliziert. Umsteigen müssen wir auch. Papa mag das nicht. Er fährt sowieso nicht gern. Bin schon froh, dass er überhaupt mitfährt.“
Abends rief meine Schwester an. Sie fährt nicht mit. Zu stressig. Sie wundert sich ohnehin, warum ich sofort Feuer und Flamme war für diese Monsterfahrt.
Ich seufzte nur.
Das Wochenende ist gelaufen.
Wieso kann ich nicht nein sagen?
Ich überschlief die Sache.
Am nächsten Tag war mir klar. Ich fahre nicht.
Ich brauche eine Ausrede. Die Ausrede kam in Form einer Fortbildungsveranstaltung, die ich am Montag besuchen musste.
Beginn Montag um zehn Uhr. Zwei Stunden Autofahrt.
Also log ich. Ich rief meine Mutter an: „Mama, ich hab vergessen drauf. Was ganz wichtiges. Ich hab ja diesen Kurs. Und da muss ich am Sonntagabend schon anreisen. Weil der Kurs beginnt am Montag früh um acht. Und am Abend zuvor haben wir eine Einführung, Und ich kann den Kurs nicht absagen. Es ist ein Akademielehrgang. Modul zwei. Und wenn ich das nicht mache, dann muss ich von vorn beginnen.“
Sie seufzte. „Einmal im Jahr frage ich dich um einen Gefallen.“
Da war es wieder, dieses Schuldgefühl.
Diese Feigheit.
Nicht sagen, was Sache ist.
Dann musste ich auch noch Tante Hedwigs Gejammere anhören als ich sie anrief.
Und ich wusste, wenn ich diese Ausrede nicht gehabt hätte, ich wäre gefahren. Ich hätte es nicht geschafft, nein zu sagen.
„Wir haben uns schon so darauf gefreut, dich mal wieder zu sehen. Es ist ja schon Jahre her. Kannst den Kurs nicht absagen? Wir haben schon die Betten frisch überzogen.
Na, dann werden wohl Eltern wohl auch nicht kommen.“
„Doch sie kommen“, sagte ich schnell. „Mit dem Zug. Sie kommen bestimmt. Papa will auch. Sie freuen sich schon.“
Und dann war alles ganz einfach.
Papa und Mama fuhren für vierzehn Euro zu Onkel und Tante.
Sie mussten nicht einmal umsteigen.
Am Bahnhof wurden sie von meiner Cousine abgeholt.
Und die Geburtstagsfeier war wunderbar.
Und sie blieben eine ganze Woche.
Ich hätte von Anfang an nein sagen sollen.
Das Schuldgefühl war völlig unbegründet.
Die Lüge war nicht notwendig. Ich bin einfach feig!
Schuldgefühle sind Gefühle, die unnötig sind.
Gegen Schuldgefühle musst du dich zur Wehr setzen.
Sie helfen dir nicht. Sie machen dir nur ein schlechtes Gefühl.
Sie verderben dir einen schönen Moment.
Ich weiß das ja alles.
Für andere Leute habe ich ja auch gut gemeinte Ratschläge. Und weiß so gut, was jemand anderer tun oder nicht tun sollte.
Aber wenn es mich selbst betrifft, dann bin ich feig und kein bisschen weise.
Und all das Kluge und weniger Kluge, das ich so weiß und fühle und manchmal von mir gebe, kann ich auf mich selbst nicht anwenden.
"A false sense of guilt and duty toward others loses its hold on whoever sees that each man must find the way out for himself."
~~Vernon Howard~~
Montag, Juni 19, 2006
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