Samstag, Juni 10, 2006

nur ein tisch

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Dieser Tisch ist ein ganz gewöhnlicher und doch wieder nicht. Es ist ein Esstisch. Esstische stehen in Esszimmern, Küchen oder Essecken. Und man isst auf ihnen.
Mein Vater hatte den Tisch selbst gemacht. Kurz bevor er meine Mutter heiratete. Mich gab es damals noch nicht. Der Tisch war vor mir da. Er war irgendwann weiß gestrichen worden. Danach hatte er eine grüne Resopalplatte bekommen. Ich glaube, dass es heute keine Tische mit Resopalplatten gibt. Die Tischplatten, die man heute hat, sind aus Holz. Es gibt auch Tische mit Glasplatten und Kunststoffplatten. Seit ich denken kann, war dieser Tisch grün. Grasgrün. Mit einem braunen Viereck in der Mitte. Hellbraun. Dieses hellbraune Viereck aus Holz hatte mein Vater einige Wochen nach der Hochzeit mit meiner Mutter eingefügt. Aus Strafe. Weil meine Mutter das Bügeleisen vergessen hatte. Auf der Tischplatte. Und so war in der Mitte der Tischplatte aus dem Grasgrün ein Flaschengrün geworden. Ein verbranntes Flaschengrün, ein schwarzes Flaschengrün. Und weil der Tisch eben ganz neu und war reine Handarbeit und aus Vollholz und so viel Arbeit, musste diese Strafe mit dem braunen Viereck sein. So dass sich meine Mutter immer erinnern würde. An den Brandfleck. Sodass ihr das niemals mehr passieren würde. Sodass sie das Bügeleisen niemals wieder stehen lassen würde. Auf dem Esstisch. Ein Esstisch ist sowieso nicht dafür gemacht um darauf bügeln, sagte mein Vater. Zum Bügeln nimmt man ein Bügelbrett. Aber die gab es damals noch nicht, sagte meine Mutter. Vielleicht gab es sie auch, sagte sie. Aber wir hätten das Geld dafür nicht gehabt. Also musste ich auf dem Esstisch bügeln.
Wegen dieses braunen Vierecks war immer eine Tischdecke auf dem Esstisch. Meistens eine weiße. Manchmal aber auch eine mit Mond und Sternen. Das war meine Lieblingstischdecke. Die Tischdecken meiner Mutter waren immer perfekt gebügelt mit ordentlichen, geraden Bügelfalten. Gestärkt waren sie auch. Und sie dufteten wunderbar.
Irgendwann dann bekam ich den Tisch geschenkt. Ich wollte ihn eigentlich gar nicht. Ich hatte gar keinen Platz dafür. Aber ich nahm ihn halt. Sonst wäre Papa beleidigt gewesen. Die grüne Platte mit dem hellbraunen Viereck musste aber weg. Das Grün gefiel mir nicht. Und das braune Viereck noch weniger.
So kam der Tisch in das Schlafzimmer. Weil er passte nicht in das Esszimmer. Wir hatten auch gar kein Esszimmer. Wir hatten eine Essecke. Eigentlich war es ein Essbereich. So nennt man das wohl. Was für ein unglückliches Wort. Es war kein Essbereich im eigentlichen Sinne. Da stand eben der runde Tisch mit vier Sesseln vor der Küche. Ein eckiger Tisch hätte schlecht Platz gehabt. Deshalb war der Tisch, der handgemachte, von meinem Vater im Schlafzimmer in der Ecke. Weil sonst war nirgends Platz dafür.
Wann immer meine Eltern zu Besuch waren, fragte Vater nach diesem Tisch. Wann ich ihn wohl endlich als Esstisch verwenden würde. Wo er doch nun so schön war. Eine neue Tischplatte hatte. Alles massiv. Nirgends ein Nagel, nirgends eine Schraube. Die neue Holzplatte, sagte Vater, aus bestem Holz.
Irgendwann, sagte ich dann. Irgendwann wird der Tisch wieder ein Esstisch sein. Vielleicht im Wintergarten, Papa.
Aber die Pflanzen im Wintergarten wurden zu groß und ausladend. Und da passte der Esstisch nicht hinein.
So blieb er im Schlafzimmer in der Ecke und wurde als Ablage verwendet. Für Wäschestapel. Ich hätte da in der Ecke im Schlafzimmer lieber etwas anderes gehabt. Eine Kommode oder ein Sofa. Aber wo sollte dann der Tisch hin? Im Keller wäre noch Platz gewesen. Aber das getraute ich mich nicht. Den schönen Tisch vom Vater in den Keller zu stellen. Mein erstes und bisher einziges Erbstück. Das kam nicht in Frage.
Die Jahre sind vergangen und das ehemalige Schlafzimmer ist nicht mehr das meinige. Ich habe nun eine Wohnung, wo der Tisch nun überhaupt nicht mehr passt. Aber mitgenommen hab ich ihn. Und nun steht er halt im Garten. In der Ecke.
Eigentlich ist nicht mehr viel da vom Tisch, wie ihn mein Vater gemacht hat.
Die Tischbeine habe ich damals abgesägt. Weil er mit den Beinen nicht in mein Auto passte. Also nahm ich nur die Tischplatte mit. Die passte hinein.
Und nun hat die Tischplatte ein Gestell aus Metall. Grün. Das Gestell würde gut zur grünen Resopalplatte passen. Aber die gibt es nicht mehr. Das Grün passt auch gut zur Holzplatte.
Der ehemalige Esstisch ist nun kein Esstisch mehr. Sondern ein Gartentisch. Und die Tischplatte ist auch nicht mehr schön. Regen und Schnee haben ihr zugesetzt. Ich hätte den Tisch im Winter in den Keller bringen sollen. Aber darauf hab ich vergessen. So steht er halt das ganze Jahr über in der Ecke des Gartens. Und das tut ihm nicht gut. Aber das macht nichts. Dieser Gartentisch in der Ecke da ist nicht mehr der Tisch, den mein Vater, bevor er meine Mutter heiratete, gemacht hat.
Das einzige was vom ursprünglichen Tisch noch übrig ist, ist der Name. Tisch. Fast. Ehemals Esstisch, nun Gartentisch.
Und trotzdem – für mich ist es noch derselbe Tisch, der damals in der Küche stand. Der mit der grasgrünen Resopalplatte und dem hellbraunen Viereck in der Mitte und den weiß gestrichenen Holzbeinen. Der Tisch mit der weißen Tischdecke mit Mond und Sternen.

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