Sonntag, März 05, 2006

im wald

Im Wald gab es eine Stelle, die, so glaubte ich damals wenigstens, niemand kannte außer mir. Ein Stück Wildnis, unkultiviert, sumpfig, schattig.
Diese Stelle hatte etwas Magisches an sich. Es zog mich immer wieder zu ihr hin und war schwierig zu erreichen.
Vorbei am großen Felsen, der versteckt war zwischen Gebüsch, verdorrten Ästen, Baumstrünken und Schattengewächsen.
Diese Stelle war umgeben von hohen Bäumen, dunkel, geheimnisvoll, un-heimlich.
Meist setzte ich mich nur hin auf einen Stein, beobachtete Ameisen und Käfer, und lauschte den Geräuschen.
Manchmal spielte ich mit den Zapfen, Ästen und Steinen, die am Boden lagen, baute Städte und Dörfer und führt Selbstgespräche.
Manchmal hatte ich meine Puppe mit, der ich Geschichten erzählte, und deren Anwesenheit mich beruhigte und tröstete.
Manchmal hatte ich ein Märchenbuch mit, in dem ich jedoch niemals las, weil ich zu sehr abgelenkt war von den Dingen die mich umgaben.
Wenn ich am Abend heimkam, mit zerzaustem Haar und Striemen an den Beinen, fragte mich meine Großmutter jedes Mal, wo ich gewesen war. Dass ich im Wald gewesen war, wusste sie.
Dann erzählte sie mir, dass es gefährlich war im Wald. Dass dort allerlei seltsame Gestalten hausten, Geister, Trolle, Zwerge, Feen.
Am meisten beeindruckte mich die Geschichte von der Habergeiß .
Ja, sie habe sie einmal gesehen. Ein Wesen, groß, mit glühenden, roten Augen. Augen wie Wagenräder. Und eine Gestalt wie eine Ziege, mit drei Beinen. Aber viel größer als eine Ziege, riesengroß.
Und manchmal hörte sie sie nachts.
Sie würde ganz jämmerlich schreien und klagen.
Und wenn man sie hörte, dann würde man das niemals vergessen und es würde nichts Gutes bedeuten, Unheil ankündigen.
Ich habe sie nie gehört, die „Howagoaß“. Aber ich habe sie gesehen. Einmal ganz deutlich. Die glühenden Augen sah ich. Hervorlugen zwischen den Bäumen. Sie war ziemlich weit weg. Ich konnte ihre Gestalt nicht ausnehmen. Nur an die Augen kann ich mich erinnern. Sogar heute noch.
Ich weiß, dass ich aufsprang und wie der Blitz nach Hause lief.
Meine Mutter lachte nur, als ich ihr von der Habergeiß erzählte.
Meiner Großmutter erzählte ich nicht von meinem Erlebnis. Warum, weiß ich nicht.

"Wer sich Mythen stellt und ihnen zuhört, etwas von ihrer Kunde erfahren will, der beschäftigt sich nicht mit dem Fremden und Entfernten, sondern stößt auf die eigenen Probleme, wird aufmerksam auf das, was in ihm selbst der Klärung bedarf."

Otto Betz

1 Kommentar:

Zagu hat gesagt…

I really like this picture. Very beautiful!